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Scholz, Hartmut
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Mittelfranken und Nürnberg (extra muros): Text — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 10,1, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.52869#0051

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KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG

Die ältesten erhaltenen Glasmalereien Frankens, zwei kleine Einzelscheiben der Hll. Michael und Nikolaus aus der
ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in der Pfarrkirche zu Henfenfeld (Fig. 9jf.), sind völlig isolierte Vorläufer57, denen
erst nach 1300 einige verstreute kleinere Werke von mäßigem Stilniveau in der Umgebung Nürnbergs folgen. Als
erstes Zeugnis für eine regionale Glasmalereitradition sind die Henfenfelder Scheiben deshalb von besonderem Wert,
zumal als Überreste einer künstlerisch hochstehenden Produktion, über deren Umfang wir leider nur noch spekulie-
ren können: Die territoriale und kirchenpolitische Zugehörigkeit Henfenfelds zum Hochstift Bamberg sowie enge
Stilbezüge zwischen den Glasgemälden und der Bamberger Buchmalerei der Zeit - insbesondere zu den beiden Psalte-
rien Ms. Bibi. 47 und 48 der Bamberger Staatsbibliothek (vgl. Textabb. jf. mit Abb. loof.) - sprechen für eine Her-
kunft aus der Bischofsstadt, die mit dem zügigen Neubau des Ekbert-Domes von ca. 1220 bis zur Schlußweihe 1237
eine enorme Konzentration künstlerischer Kräfte, nicht zuletzt von Glasmalern, in ihren Mauern befördert haben
muß58. Formale Zusammenhänge mit den monumentalen Bildkünsten sind gleichwohl - in Ermangelung erhaltener
Reste der Domverglasung und mit Blick auf die spärlichen, stark verblaßten und kaum noch zureichend zu beurteilen-
den Wandgemälde in den Nischen der Peterschorschranken59 - nurmehr im Bereich der Bauskulptur des Bamberger
Doms und hier ausschließlich mit der älteren Bildhauerwerkstatt der Georgenchorschranken zu beobachten. Spezifi-
sche Merkmale der Faltengebung wie die T-förmig geblähten Säume mit den seltsam nach oben umbiegenden Falten-
schläuchen finden sich dort gehäuft und geradezu manieriert übersteigert vorgeprägt (vgl. Textabb. 4 mit Abb. 100).
Mit dem wiederholt gegebenen Hinweis auf formale Beziehungen zwischen der Bamberger Bildhauerei der Gnaden-
pforte wie der Georgenchorschranken und den Erzeugnissen der Buchillustration, die gelegentlich auch auf die figür-
lichen Fresken der Chorschranken ausgedehnt wurde60, ist jedenfalls das Stilmilieu umschrieben, dem auch die Hen-
fenfelder Scheiben als spätere Ableger verpflichtet sind (vgl. S. 203-205). Für eine Entstehung der Glasgemälde zur
Zeit der Domvollendung um 1230/40 sprechen andererseits die Bezüge zur späteren Würzburger Buchmalerei aus
dem Umkreis der Dominikanerbibel von 1246, auf deren fortgeschrittenen Zackenstil und Typenschatz insbesondere
der Henfenfelder Michael vorauszuweisen scheint61.
Bestätigt sich also die Vorstellung von der führenden Rolle der Bischofsstädte für die Bildkünste um die Mitte des
13. Jahrhunderts durch die Henfenfelder Glasgemälde, so läßt sich die Frage nach der künstlerischen Provenienz der
wenigen Fragmente des frühen 14. Jahrhunderts in Ottensoos, Eschenbach und Altenthann nur mit Vorbehalten
zugunsten Nürnbergs entscheiden. Auf den ersten Blick lassen sich der auferstandene Christus in Ottensoos und die
Kreuzigung in Eschenbach in ihrem bescheidenen, naiven Gesamtcharakter miteinander verbinden, wobei die Posi-
tion des Augustinerinnen-Klosters Engelthal als Patronatsherrin in beiden Fällen die Annahme einer gemeinsamen
Werkstatt (vielleicht sogar einer Kloster-Werkstatt) nahelegt. Die beiden Chorturmanlagen von Ottensoos und
Eschenbach (heute verändert), die an das Vorbild der Engelthaler Klosterkirche anknüpfen, lassen in ihren engen lan-
zettförmigen Fensteröffnungen wenig Raum für ein ausgreifendes Bildprogramm. Eine Vorstellung von Umfang und
ikonographischen Möglichkeiten können jedoch einzelne noch mehr oder weniger intakt erhaltene Chorverglasungen
im fernen Gotland vermitteln, die ebenfalls in schmalen Dreifenstergruppen heilsgeschichtliche Inhalte in starker Ver-

57 Farbfenster dieser frühen Zeit, die wir mit Gewißheit für die mittel-
fränkischen Klosterkirchen, aber auch für die älteste Nürnberger Pfarr-
kirche St. Sebald, das Deutschordenshaus St. Jakob, das Schottenkloster
St. Egidien oder die Burgkapelle voraussetzen müssen, sind sämtlich ver-
loren. Lediglich drei Fragmente des späten 12. oder frühen 13. Jh. - eine
thronende Muttergottes, das Fragment einer Geburt Christi und ein Jo-
hannes der Kreuzigung - in der Sammlung Goethes in Weimar, die nach
fragwürdiger Überlieferung aus der Nürnberger Burg stammen sollen,
könnten uns gegebenenfalls eine Vorstellung des ehemals Vorhandenen
vermitteln, ohne daß sich Näheres über deren künstlerische Herkunft
aussagen läßt (Wentzel, Meisterwerke, 2i9J4, S. 21, 105, Abb. /f.). Die
fragliche Provenienz soll sich nach Frenzel aus dem Briefwechsel Goe-
thes mit dem Nürnberger Physiker Seebeck ergeben, doch beweist dieser
nur das Interesse Goethes an der Glasmalereisammlung v. Derschau in
Nürnberg (Jb. der Goethegesellschaft 10,1924, S. 188); vgl. Ulrich, 1979,
S. 278, Anm. 5, und Gottfried Frenzel, in: Glaskonservierung (32.
Arbeitsheft, Bayer. Landesamt für Denkmalpflege), München 1984, S. 96.

58 Eine Herkunft aus Bamberg hat erstmals Frenzel, Kaiserliche Fen-
sterstiftungen, 1962, S. 9, vorgeschlagen, während Rainer Kahsnitz, in:
Kat. Ausst. Nürnberg 1986, S. 88, die Fenster trotz Einschränkungen zu
den »ältesten Zeugnissen Nürnberger Bildkunst< gerechnet hat.
59 Karl-Georg Pfändtner, Die staufischen Fresken an den Südwest-
chorschranken des Bamberger Doms, in: Kat. Ausst. Bamberg 1998,
S- 233-237.
60 Der in Dehio Franken, 1979, S. 80, bzw. 2i999, S. 98, wiederholte
Hinweis auf die Stilverwandtschaft der Peterschorschrankenmalerei zur
Würzburger Buchmalerei wird von Pfändtner (wie Anm. 59), 1998,
S. 235, zurückgewiesen, der statt dessen bemerkt, daß »im Bamberger
Psalter sehr ähnliche Ornamentik zu finden ist«.
61 Swarzenski, 1936, S. 151-160; Engelhardt, 1987. Für wertvolle
Hinweise zur Bekräftigung der bambergischen Herkunft habe ich
Robert Suckale, Berlin, herzlich zu danken.
62 Vgl. CVMA Skandinavien, 1964, Abb. zf., S.
 
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