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Scholz, Hartmut
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Mittelfranken und Nürnberg (extra muros): Text — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 10,1, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.52869#0326

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NÜRNBERG (wÖHRD) • ST. BARTHOLOMÄUS

321

Ikonographie, Komposition: So wie sich die Szene heute präsen-
tiert, sind zwei aufeinanderfolgende Ereignisse - das Gebet Jesu
am Ölberg, von dem alle drei synoptischen Evangelien berichten
(Mt 26,36-46; Mc 14,32-42; Lc 22,39-46) und das Niederstür-
zen der Häscher, hier samt Judas34, bei der Gefangennahme (nur
bei Io 18,6) - simultan in einem Bild zusammengefaßt. Da der
Engel mit dem Kelch aber eine Zutat des 19. Jh. ist, war hier
ursprünglich wohl nur das zweite, sehr viel seltener dargestellte
Ereignis gemeint. Eine Ausdehnung der Ereignisse mit Judaskuß
und Gefangennahme auf einer zweiten, ursprünglich mit Sicher-
heit zugehörigen Scheibe (heute in Henfenfeld; vgl. Abb. 104) ist
zwar ungewöhnlich, doch nicht ohne Vorbilder in der älteren
Kunst35.
Farbigkeit: Christus in blauvioletter Tunika, mit braunem Inkar-

nat und gelbem Nimbus. Liegende Schergen: vorn mit grau-
blauer Rüstung, dahinter in gelbem bzw. rotem Gewand; gelbe
Fackel mit roter Flamme; Inkarnate braun und weiß. Engel mit
Kelch weiß und silbergelb. Gartenlandschaft in verschiedenen
Grüntönen, grauweißem Pfad, rosabrauner Bergkulisse und hell-
blauem Wolkenhimmel. Rahmung gelb mit rosa Kapitellen.
Technik, Stil, Datierung: Obwohl in einzelnen Partien des Land-
schaftgrunds (Felskulisse) eine feinzeichnerische Ausführung
überwiegt (vielleicht alte Flickstücke aus früheren Scheiben des
Zyklus?) tendieren Pinselführung und Halbtonmodellierung in
den Figuren jenem ausgeprägt routinierten, beinahe trockenen
Gestus zu, der seit etwa 1508 in der Produktion der Hirsvogel-
Werkstatt die Oberhand gewinnt.
CVMA A 12250

CHORFENSTER süd II

Fig. 197!., 200-207, Abb. 215-224

Rundbogiges Fenster von zwei Bahnen und sechs Zeilen einschließlich der 1964 nach Entwürfen von Theo Reichart in
der Nürnberger Werkstatt Hans Ammer modern verglasten Bogenfelder (gestiftet von Emil Buschor, Nürnberg).
Reste mittelalterlicher Glasgemälde besetzen nur die zweite bis fünfte Zeile. In der ersten Zeile sitzen Wappenfelder
von 1565 aus der Werkstatt des Sebald Hirsvogel (vgl. Anm. 1).

2a CHRISTUS VOR ANNAS Fig. 197, Abb. 217
H. 81,5-82 cm, B. 63 cm.
Vor 1835 in Lhs. nord VI, 3a; 1886 nach Chor nord II, 3a ver-
setzt36; seit 1964 am jetzigen Standort.
Erhaltung: Der ruinöse Gesamteindruck des im 19. Jh. umfas-
send ergänzten Feldes beruht neben zahlreichen Sprüngen und
verschobenen Glasstücken nicht zuletzt auf der stark abgewit-
terten, in Gewändern und Thronarchitektur von Kellner in sprö-
den Linien kalt nachkonturierten Bemalung. Rahmung komplett
erneuert. Punktförmige Korrosion im violetten Gewand Christi.
Allein der spinnenförmig gesprungene, zuvor von breiten Not-
bleien arg entstellte Kopf des Annas wurde 1964 von Frenzei
doubliert (in das Bleinetz des 19. Jh. eingebohrt).
Ikonographie, Komposition: Vorbilder für die verschiedenen im
Verlauf der Passionsgeschichte stattfindenden Verhöre Christi -
vor dem Hohen Rat durch Annas (nur Io 18,13 f.) und den
Hohenpriester Kaiphas (Mt 26, 57-75; Mc 14,53-72; Lc 22,
54-71; Io .18,12-27), durch den römischen Statthalter Pilatus (Mt


Fig. 197. ES Chor s II, 2a.

27,1.2.11-30; Mc 15,1-19; Lc 23,1-25; Io 18,28-19,16) und den
Vierfürsten Herodes Antipas (nur Lc 23, 7-12) - waren in der
zeitgleichen Nürnberger Druckgraphik in ausreichendem Maße
zu finden: Neben Baldungs fünf kleinen Schnitten im Beschlos-
sen Gart des Ulrich Pinder von 1505 (M.238-242), insbesondere
aber Schäufeleins Fassungen für das Speculumpassionis von 1506
(Sch.366, 367, 370, 371), ist das Verhör in Schongauers Kupfer-
stichpassion (L.21) als bekannt vorauszusetzen. Für die Gestalt
des Soldaten in der Mitte, der eben zum Schlag auf Christus aus-
holt, müssen dem Entwerfer Skizze oder Reinschrift von Dürers
Grüner Passion (W.301, 302; 1504) vor Augen gewesen sein, die
zugleich auch für Schäufeleins Verhör durch Annas (Sch.366)
Pate gestanden haben.
Farbigkeit: Dominant der bernsteingelbe Holzthron; auf dem
hellblauen Kissen sitzt Annas, gekleidet in eine hellgrüne, mit
weißem Pelz gefütterte Kutte und roten Samtärmeln. Christus
wie üblich in dunkel blauvioletter Tunika (verbräunt), mit gel-
bem Nimbus, herbeigeführt durch einen Schergen in rotem
Wams und blaßbraunen Beinlingen; im Zentrum Soldat in weiß-
rot gestreiftem Hemd über goldener Rüstung, der Helm silber-
grau. Inkarnate blaß rosabraun. Im Hintergrund blaßvioletter
Architekturbogen und hellblaue, für die grünen Bäume teils mit
Silbergelb hinterlegte Seelandschaft; graugrüner Fliesenboden.

34 Die mittlere der wie betäubt zu Boden gestürzten Figuren ist durch
den Geldsack als Judas gekennzeichnet. Eine Verwechslung mit den tra-
ditionell zum Repertoire der Ölbergszene gehörenden schlafenden Jün-
gern ist durch Rüstung und Kurzhaarschnitt zweier Liegender ausge-
schlossen; den Geharnischten mit dem Hl. Jakobus zu identifizieren wie
Schwemmer, 1933, S. 44, ist nicht möglich.
35 Schiller, II, 21983, S. 66.
36 Schwemmer, 1933, S. 40; vgl. Inv. 1829 (Reg. Nr. 76).
 
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