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Scholz, Hartmut
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Mittelfranken und Nürnberg (extra muros): Text — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 10,1, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.52869#0331

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326

NÜRNBERG (vÖHRD) • ST. BARTHOLOMÄUS

der Nürnberger Druckgraphik - so in Schäufeleins Holzschnitt
zum Speculumpassionis von 1506/7 (Sch.379) oder Dürers ausge-
reifter Fassung der Kleinen Holzschnitt-Passion von 1509/11
(B.41) - erweist sich der Schöpfer der Wöhrder Höllenfahrt in
seiner Orientierung am Vorbild Schongauers (L.29) als ausge-
sprochener Traditionalist. Da eine solche Rückbesinnung samt
der Vereinfachung des künstlerisch weit überlegenen Kupfer-
stichs wohl keinem der Dürerschüler zugemutet werden kann,
dürfte die Vorlage noch am ehesten innerhalb der Glasmaler-
werkstatt selbst, ohne Zutun eines auswärtigen Entwerfers, ent-
standen sein.
Farbigkeit: Christus in rotem Mantel mit gelbem Nimbus, gel-
bem Kreuzstab und rot-weißer Fahne mit hellgrünen Zaddeln;
Inkarnate rosa und hellbraun; Satan zu Füßen Christi hellgrau.
Hellbraun gemauerter Torbogen mit roter Flammenzunge.
Links unten grüner Rasenboden mit (weitgehend erneuerter)
hellbrauner Mauer, darüber hellblauer Wolkenhimmel. Unten
angestückt grauer Fliesenboden. Rahmung aus gedrehten gelben
Säulen über purpurrosa bzw. blauem Postament, mit gelb-wei-
ßen Kapitellen und gelben Bogenzwickeln; die verkürzt darge-
stellte Bogenlaibung zeigt ein hellgrün gerahmtes blaues Ranken-
ornament.
Technik, Stil, Datierung: Bescheidene Ausführung in der Art des
Verhörs durch Annas, des Noli me tangere und des Ungläubigen
Thomas (vgl. Anhang I, S. 552).
Nürnberg, um 1510.
CVMA A 12254
4a NOLI ME TANGERE Fig. 204, Abb. 221
H. 80,5-81,5 cm, B. 63,5 cm.
Vor 1835 in Chor I, 3a; 1886 nach Chor nord II, 2a versetzt43; seit
1964 am jetzigen Standort.
Erhaltung: Beidseitig und oben minimal beschnitten. In der
Glassubstanz bis auf eine größere frühe Ergänzung (Mitte des
16. Jh.?) im Gewand Magdalenas und der benachbarten Land-
schaftspartie sowie kleinere Reparaturen im Brustbereich Christi
und in der Rahmung original. Die Bemalung der Figuren hat
wohl umfangreiche Teile ihrer Halbtonmodellierung eingebüßt;
Retuschen und Übermalungen in der Binnenzeichnung der
Gewänder sind dagegen nicht eindeutig nachzuweisen; flächige
Überzüge aus jüngerer Zeit in den rahmenden Säulen. Spuren
rückseitiger Malerei finden sich insbesondere noch im Land-
schaftsgrund. Bleinetz 19. Jh.
Ikonographie, Komposition: Die Erscheinung des Auferstande-


Pig. 204. ES Chor s II, 4a.

nen vor Maria Magdalena (Io 20, 14-18) folgt in der Beschrän-
kung auf die beiden Hauptfiguren und der Kennzeichnung Chri-
sti als Gärtner mit Schaufel dem im Spätmittelalter verbreitetsten
Typus44. Als Vorbild der Wöhrder Komposition - insbesondere
der knienden Magdalena - kommt zuallererst Schongauers Stich
(L.15) in Betracht; für Motive wie den Gärtnerhut Christi mit
der vorn hochgeschlagenen Krempe dürfte überdies Dürers Fas-
sung der Kleinen Holzschnitt-Passion (B.47) Pate gestanden
haben.
Farbigkeit: Christus trägt wie üblich den leuchtend roten Mantel
des Auferstandenen; Hut, Nimbus, Spaten und Mantelschließe
silbergelb. Magdalena in weißem Mantel und blau damasziertem
Untergewand (Ärmel): Haar und Nimbus silbergelb. Garten-
landschaft mit graubraunem Pfad, grünen Wiesen und Bäumen,
hinten abgegrenzt durch einen hellbraunen Zaun; vor der Knien-
den abgestellt ein zinnoberrot marmoriertes Salbgefäß. Hinter-
grund mit silbergelbgrünen Wiesen und graublauen Fels- und
Burgkulissen vor tiefblauem Wolkenhimmel. Rahmung: grau-
weißer Weinlaubbogen auf violetten Kapitellen und (jüngst)
derb braun abgedeckten Säulen.
Ornament: In den blauen Ärmeln Magdalenas kleine Partien des
verbreiteten Nelkendamastmusters A (X, 30).
Technik, Stil, Datierung: Die zuerst von Knappe geäußerte, spä-
ter auch vom Verfasser mit Vorbehalten geteilte Vermutung, die
dünnlinig-spröd gezeichneten Wöhrder Scheiben Noli me tan-
gere, Höllenfahrt und der ungläubige Thomas könnten auf Kar-
tonzeichnungen, vielleicht auch nur auf kleinere Entwürfe des
Dürerschülers Wolf Traut zurückzuführen sein, besitzt ihr
gewichtigstes Argument in der deutlichen Übereinstimmung mit
Trauts Zeichenstil, etwa in den ihm zugeschriebenen Blättern der
Hl. Sippe in Budapest bzw. der Hl. Anna Selbdritt im Pariser
Louvre45. Ein besonders typisches Merkmal, das sowohl in den
für Traut reklamierten Zeichnungen als auch in den betreffenden
Wöhrder Scheiben wiederholt begegnet, sind die eigentümlichen
Doppelstriche, die die Binnenzeichnung der großen Faltenzüge
in den Gewändern zunächst recht unsicher erscheinen lassen. Da
dieselben Doppelstriche in Verbindung mit einer vergleichbar
linearen, »trockenen« Binnenzeichnung letztlich aber in den frü-
hen Entwürfen Dürers zum Benedikt-Zyklus (vor allem W.
202-207) oder im Augustinerkarton (W. 210) vorgebildet sind,
ist nicht auszuschließen, daß für die Gruppe um das Noli me
tangere bereits auf ältere Vorlagen aus der Zeit um 1500 zurück-
gegriffen wurde46. Inwieweit das insgesamt wenig routinierte
Erscheinungsbild zudem auf das Konto des Glasmalers gehen
könnte, der womöglich selbst als Zeichner der Kartons in Frage
kommt, steht hierbei allenfalls zu vermuten (vgl. Anhang I,
S. 552).
CVMA A 12255, Großdia A 99/71
4b DER UNGLÄUBIGE THOMAS Fig. 205, Abb. 222
H. 81-82 cm, B. 63,5 cm.
Vor 1835 in Chor I, 3b; 1886 nach Chor nord II, 2b versetzt47;
seit 1964 am jetzigen Standort.
Wappen: Unbestimmt (Schild im 19. Jh. nach dem Vorbild der
alten Helmzier - dem gold-schwarz-gold gestreiften Doppelflug
- frei hinzuerfunden).
Erhaltung: Wappen, Fliesenboden und Bogenrahmung weitest-
gehend im 19. Jh. erneuert; die Randsäulen sind großenteils in
ihrem Glasbestand unter einem in situ aufgetragenen kalten
 
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