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Scholz, Hartmut
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Mittelfranken und Nürnberg (extra muros): Text — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 10,1, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.52869#0348

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NÜRNBERG • ST. JOHANNIS

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9. »In dem vierten und letzten großen Kirchfenster [Lhs. süd VII], bey welchem die zwo übereinander-befindliche
Empor-Kirchen angebauet sind, ist ein Oertel- und Harsdörferisches Wappenschild von schönen Brandfarben zu
sehen«.
10. »Auf diesen beeden Emporkirchen siehet man noch an der Mitternacht-Seite an den dasigen vier grossen Kirchfen-
stern, und zwar im zweeten derselben, ein Altadel. Scheurlisches Wappen, im dritten ein Grabnerisches, und im vier-
ten ein Paumgärtnerisches Wappen-Schild mit einem unbekannten Nebenschildgen« [Lhs. nord VI-VIII].
Faßt man diese detaillierte Überlieferung nochmals zusammen, dann ergibt sich für die nach 1493 »verneute« Farbver-
glasung eine ehemalige - mutmaßlich ursprüngliche - Verteilung der Fensterplätze auf die nachfolgenden Stifter aus
dem Kreis Nürnberger Patrizier, die in den wesentlichen Punkten auch mit dem »Verzeichnuß der Kirchen Fenster
bey St. Johans« aus dem Jahr 1604 übereinstimmt (vgl. Reg. Nr. 79)17: Im Chor steht die Stiftung der Stadtväter mit
der Muttergottes zwischen den beiden Johannes im Achsenfenster (I) noch an ihrem angestammten Platz. Fenster
nord II war eine Stiftung der Ebner von Eschenbach, süd II eine der Grundherren, nord III eine der Geuder von
Heroldsberg und süd III eine Pirckheimersche Fensterstiftung. Im Langhaus befand sich ehemals in unmittelbarem
Anschluß das kleine Tetzelsche Fenster (Lhs. nord IV), das Schürstab-Fenster (Lhs. süd IV), das Volckamer-Fenster
(Lhs. süd V) und vermutlich ein Harsdörffer-Fenster (Lhs. süd VII). Gegenüber im nördlichen Langhaus, dessen Fen-
ster bereits durch den Einbau der beiden Emporen im 17. Jahrhundert überschnitten wurden, waren schließlich noch
die Stiftungen der Paumgartner (Lhs. nord VI), der Grabner (Lhs. nord VII), heute einziger Überrest aus der Erstver-
glasung des späten 14. Jahrhunderts, und zuletzt der Scheuri untergebracht (Lhs. nord VIII). Alle Fenster besaßen von
Anfang an nur eine partielle Farbverglasung inmitten von umgebenden Butzenscheiben, wobei - mit Ausnahme des
Chorachsenfensters - nicht mehr zu klären ist, in welchen Fensterzeilen die farbig-figürlichen Teile ursprünglich
angebracht waren. Ikonographisch blieben sämtliche Fenster auf die Darstellung der Familienwappen und ausge-
suchte stehende Heilige, zumeist die Namenspatrone der Stifter, beschränkt.
Komposition, Ornament: Die Gestaltung der spätmittelalterlichen Rechteckscheiben mit Wappen und Heiligen
basiert - wie generell in der Nürnberger Glasmalerei um 1500 - auf einem sehr begrenzten Motiv-Repertoire: Der
schmale Bildraum für Figuren und Wappen wird in der Bildebene durch einen Architektur- oder Astwerkbaldachin
gerahmt, in der Tiefe durch einen perspektivischen Fliesenboden, einen Rasenboden oder nur eine einfache Standflä-
che definiert und nach hinten durch die abstrakte Folie eines Damastmusters oder eine Mauer mit Wolkenhimmel im
Hintergrund abgeschlossen. In diesen Nischen steht oder schwebt der eigentliche Bildgegenstand, Wappen oder Figur,
stets in vorderster Front. Das einzige Wappenfeld des späten 14. Jahrhunderts zeigt ein für Nürnberg und die gesamte
Glasmalerei der Parierzeit typisches kurviertes Blattrankenornament (X, 22), wie es beispielsweise in den Farbvergla-
sungen der Nürnberger Kirchen St. Martha und St. Sebald, in Markt Erlbach oder aber in den Chören des Erfurter
Doms und des Ulmer Münsters anzutreffen ist. In den Scheiben der Neuverglasung ab 1493 bis um 1500 treten die
geläufigen Damastmuster A, C und D der frühen Hirsvogel-Werkstatt auf, die der Werkstattleiter im Zuge seiner
Wanderjahre aus dem Fundus der Straßburger Werkstattgemeinschaft um Peter Hemmel entlehnt hatte (X, 30, 32f.)18.
Technik, Stil, Datierung: In technisch-glasmalerischer Hinsicht zählen alle spätgotischen Rechteckscheiben in St.
Johannis zum frühen CEuvre der Hirsvogel-Werkstatt, genauer zu deren »älterer Werkstattrichtung«, die in Maltech-
nik, Typenschatz, Ornamentik und Farbigkeit noch durchgehend dem prägenden Vorbild der berühmten »Straßbur-
ger Werkstattgemeinschaft« - jener Kooperative von fünf Straßburger Glasmalern um Meister Peter Hemmel von
Andlau - verpflichtet blieb (vgl. Kunstgeschichtliche Einleitung S. 69L). Karl-Adolf Knappe hat den Bestand erstmals
exakter stilkritisch analysiert und versucht, die Ausführung einzelner Scheiben auf die diversen, noch am späteren
Bamberger Fenster in St. Sebald (1502) beteiligten Werkstattkräfte zu verteilen19. Die von Knappe eingeführten Not-
namen des »Meisters des Petruskopfes« und des »Meisters des Trockau-Assistentenkopfes« am Bamberger Fenster

17 Problematisch sind allerdings die Fensterplätze der Stockhamer auf
der Nordseite und der Lochner auf der Südseite des Langhauses. Wenn
hier kein Irrtum bei der Beschreibung von 1604 unterlaufen ist, dann
hätten die Fensterrechte im Lauf des 17. und frühen 18. Jh. gewechselt,

was freilich bei ausgestorbenen Geschlechtern durchaus den Gepflogen-
heiten entsprach.
18 Vgl. Scholz, Werkstattpraxis, 1991, S. 281-290.
19 Knappe, Bamberger Fenster, 1961, S. 33-38.
 
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