Metadaten

Scholz, Hartmut
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Mittelfranken und Nürnberg (extra muros): Text — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 10,1, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2002

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.52869#0398

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
POLLENFELD • PFARRKIRCHE

393

befand und erst in jüngerer Zeit (1805?) ins benachbarte Fenster versetzt worden ist. Zwingende Gründe hierfür sind
aber nicht anzuführen8.
1. Chorfenster nord II: Das Passionsfenster zeigt ohne aufwendige architektonische Rahmenform in den erhaltenen
sieben Zeilen insgesamt zehn Ereignisse aus der Leidensgeschichte Jesu; lediglich die durchlaufende Rahmung mit
kleinen Bogenzwickeln in jedem einzelnen Feld dient als schwache horizontale Gliederung (Fig. 281): Vier Ereignisse
- das Gebet am Ölberg, die Dornenkrönung, Kreuzigung und Auferstehung Christi - erstrecken sich über alle drei
Felder einer Zeile, während in den übrigen Zeilen jeweils zwei Ereignisse aufeinander folgen: Beschränkt auf ein Feld
bleiben der Judaskuß, die Geißelung und die Kreuztragung Christi; die drei Verhöre durch Herodes und Pilatus bean-
spruchen jeweils zwei Felder. Die Geschichte wird von unten nach oben und in der Regel von links nach rechts
erzählt. Der abrupte Wechsel in der Leserichtung auf Höhe der sechsten Zeile dürfte daher einem Fehler beim Wieder-
einbau einer früheren Restaurierung (1947?) anzulasten sein, wobei dann aber auch die ornamentalen Ränder jeweils
auf der falschen Seite erneuert worden sein müßten. Stellt man die Kreuztragung (heute 6a) nach 6c und rückt die
zweite Vorführung Christi vor Pilatus (heute 6b/c) nach links, dann ergibt sich jedenfalls eine geschlossenere Gesamt-
wirkung der Bewegungsrichtungen. Für die verlorene erste Fensterzeile käme als Eingangsszene das Abendmahl in
Betracht, mutmaßlich - wie im Marienfenster - in Verbindung mit einem Stifterbild.
2. Chorfenster siid II: Im Marienfenster waren einst vier ausgesuchte Szenen in vier großen, architektonisch gerahm-
ten Bildeinheiten zu je sechs Feldern übereinander angebracht (Fig. 282). Die Szene der Verkündigung mit Stifterbild
zur Rechten, die ehemals die erste Zeile füllte, ist verloren, doch der obere Teil des gewölbten Bildraumes samt Bekrö-
nung in der zweiten Zeile ist bewahrt. Es folgen in der dritten und vierten Zeile die Geburt Christi in einer weiten
turmbekrönten Halle, in der fünften und sechsten Zeile die Anbetung der Könige, versetzt in einen hohen sternge-
wölbten Raum, und schließlich in der siebten und der achten Zeile die Darbringung im Tempel, wiederum von einem
hohen Turmhelm in der Mitte und von steilen Giebeln seitlich überhöht. Für die Auswahl gerade dieser vier Feste der
Marienverehrung - Mariä Empfängnis, Christi Geburt, Epiphanie und Mariä Reinigung (Lichtmeß) - mögen liturgi-
sche Gründe ebensowohl den Ausschlag gegeben haben wie die zunehmende Verehrung der Freuden Mariens oder
des freudenreichen Rosenkranzes9. Die Beschränkung auf vier Ereignisse im Fenster mag andererseits rein formal
durch die verfügbare Fläche zu erklären sein, zumal wir nicht wissen, welcher Thematik das dritte dreibahnige Fenster
im Chorschluß gewidmet war.
Ornament: Abgesehen von den umlaufenden Randstreifen mit dem zeitlosen SOS-Muster bleibt die Ornamentik im
Passionsfenster wesentlich auf die Hintergründe beschränkt: Hier wiederholt sich, lediglich in der Farbigkeit variiert,
stets dasselbe Blattrankenornament mit eingestreuten Blütenrosetten (X, 19). Im Marienfenster zeigt das gleiche
Grundmuster eine gewisse formale Modifikation durch das zusätzliche Motiv des eingerollten Nierenblattes - eine
Blattform, die im ornamentalen Fundus parierzeitlichen Glasmalerei, insbesondere Nürnberger Provenienz mit seinen
Ablegern in Franken, Thüringen (Erfurt, Mühlhausen) und Schwaben (Ulm) nahezu den Rang eines Leitmotivs bean-
spruchen kann (X, 22). Neben den vegetabilen Hintergründen finden sich im südöstlichen Fenster in den Flächen hin-
ter den bekrönenden Architekturen (6a-c), aber auch als Fliesenboden, Kassettendecke und Altarantependium (/a-c)
einfache geometrische Kreuzblattkaros oder Kreuzblattrauten. Zur Dekoration breiterer Architekturprofile und
Gebälke wurden überwiegend farbig wechselnde Kleeblätter appliziert. An vereinzelten Stirnkanten der szenischen
Möblierung (Thronstufen u.ä.) finden sich in beiden Fenstern dieselben fein aus dem Halbton ausradierten Maßwerk-
und Perlbandfriese.
Farbigkeit: Die Palette an Farbgläsern wird zeittypisch durch die Grundfarben Rot, Blau, Gelb und Grün (als
gedämpftes Moosgrün) sowie Purpurviolett beherrscht. Weiß und Gelb sind den Gewändern und einzelnen Accessoi-

7 Bei direktem Sonnenlicht am frühen Morgen ist die Leuchtkraft am
intensivsten, die Gesamterscheinung, besonders des südöstlichen Fen-
sters, am erfreulichsten. Im Lauf des Tages überwiegt das Auflicht, das
die Fenster stumpf erscheinen läßt, während in den Abendstunden ein
vergleichsweise homogener Eindruck mit verminderten Kontrasten und
passabler Lesbarkeit festzustellen ist.

8 Im Gegenteil ließe sich u.a. mit den Chorverglasungen der Nürnberger
Kirchen St. Sebald und St. Martha oder des Erfurter Domes eine ganze
Reihe zeitgleicher Beispiele benennen, bei denen die Passion von Anfang
an in einem der Seitenfenster (sei es nord II oder süd II) dargestellt war.
9 Beissel, 1909, S. 228ff. bzw. Ü3off.
 
Annotationen