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Scholz, Hartmut
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Mittelfranken und Nürnberg (extra muros): Text — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 10,1, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.52869#0411

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POLLENFELD • PFARRKIRCHE

dahinter weist auf den Stern. Die stehende Haltung des nackten
Jesusknaben, die in mehreren Beispielen des 14. Jh. anzutreffen
ist, wird von Schiller mit den Visionen der Hl. Birgitta von
Schweden in Verbindung gebracht, die berichtet, daß das Kind
vor Freude gehüpft sei27. Tatsächlich ist das Stehmotiv, zunächst
noch bei bekleideter Gestalt des Kindes, bereits seit dem frühen
14. Jh. in Glasmalerei und Portalskulptur des südwestdeutschen
Raumes, in Kleinplastik und Buchillustration, nicht zuletzt in
den Bildtraditionen der Biblia pauperum und des Speculum
bumanae salvationis geläufig28. Eine der frühesten Darstellun-
gen des stehenden nackten Kindes birgt die älteste erhaltene Bil-
derhandschrift des Heilsspiegels aus der ehemaligen Reichsabtei
Weißenau bei Ravensburg (heute Stiftsbibliothek Kremsmün-
ster)29.
Die übergreifende Bildarchitektur zeigt einen einheitlich über-
wölbten Zentralraum, durch dessen hintere Bogenöffnung die
Stütze eines Annexes sichtbar wird. Den Arkaden ist der im Fen-
ster gebräuchliche Blattrankengrund hinterlegt. Das Sternge-
wölbe öffnet sich nach vorn in einem dreiseitig vorkragenden
Baldachin mit überhöhten Spitzbögen. Diese stehen vor einer
Folie aus Kreuzblattkaros, eingefaßt durch einen abschließenden
Rechteckrahmen.
Farbigkeit: ja: Maria trägt ein weißes Untergewand und einen
hellblauen Mantel mit gelbem Futter; Nimbus hellblau; das
nackte Christkind hellbraun mit rotem Nimbus; blaßgelb gema-
serte Holzbank mit rotem Kissen, jb/c: Kniender König in dun-
kelblauem, weiß gefütterten Mantel mit weißem Hermelinkra-
gen; Untergewand und Schuhe gelb. Der stehende König trägt
einen violetten Mantel mit rotem Futter und gelber Schließe und
eine grüne Tunika, der von rechts herbeikommende einen knö-
chellangen grünen Rock mit gelbem Kragensaum, einen weißen
Umhang mit hellblauem Futter und weiße Schnürschuhe. Inkar-
nate braun, Kronen und Gefäße gelb.
Bildraum: Der zentrale Korbbogen ruht auf hellblauen Kapitel-
len (nur hinter dem rechten König ist die zum Boden führende
grüne Mauerstütze mit gelber Innenkante sichtbar) und besitzt
eine gelb gefaßte, hellgrüne Laibung mit eingestreuten rosa Klee-
blättern; die seitlichen dunkelblauen Bögen sind rosa eingefaßt
und mit grünen Kleeblättern besetzt. Die rückwärtigen roten
Bögen sind nur gelb gefaßt. Durchgehender purpurvioletter
Blattrankengrund. 6a-c: Das übergreifende Sterngewölbe zeigt
vorn hell-, hinten dunkelblaue Kappen mit gelben Sternen; gelbe
Rippen und gelb-violetter Schlußstein. Das Gewölbe ist nach
vorn in drei überhöhten weißen Spitzbögen mit roten Hänge-
konsolen geöffnet; weiße Kreuzblumen mit hellblauen Nodi.
Abschließend rechteckiger weißer Rahmen mit schmalen rosa-
farbenen Innenkanten vor Schachbrettgrund aus rot-violetten
Kreuzblattkaros.
HD 3435-3440, Details HD 3459-3463
CVMA W 8227-8232, Details W 8239-8242, Großdia X W 53
7/8a-c DARBRINGUNG IM TEMPEL IN ARCHITEKTUR
Fig. 282, 290, Abb. 306, 312!.
H./B.: 7a: 78/28,3, h: 78,2/29,7, c: Z^,5/28,5; 8a: 78,2/28,7,
b: 77,7/29,7, c: 77,7/28,8 cm.
Erhaltung: Überwiegend originale Glassubstanz. Geringfügige
Ergänzungen im Altartisch, in der Schulter einer Assistenzfigur
und im wesentlichen in den seitlichen Architekturteilen. Ver-
bräunung und Flächenkorrosion entsprechen dem allgemeinen

Befund; fortgeschrittene Transparenzeinbußen in den dunkel-
blauen Gläsern. Die Bemalung ist überwiegend gut erhalten.
Abrieb und Abplatzungen kennzeichnen vornehmlich die wei-
ßen Gläser. Das Bleinetz ist weitgehend original, nur Feld 7c ist
neu verbleit.
Ikonographie, Komposition, Ornament: Nach jüdischer Sitte
wurde Jesus - wie jeder Erstgeborene - dem Herrn im Tempel
dargestellt und durch ein Opfer vom Tempeldienst befreit (Lc 2,
22-40). Mit der Darbringung Jesu verbunden ist die Begegnung
mit dem gerechten Simeon, der in dem Kind den von Gott
gesandten Messias erkennt, und die Reinigung Mariae, die nach
3 Mos 12 am vierzigsten Tag nach der Geburt des Kindes er-
folgte. Im Zentrum der auf drei Felder ausgedehnten.Komposi-
tion steht der greise Seher Simeon, der im Spätmittelalter übli-
cherweise die Stelle des Priesters hinter dem Altar eingenommen
hat und den Messias mit verhüllten Händen empfängt. Ein zwei-
ter Jude hinter Simeon und zwei Frauen, eine jüngere und eine
ältere (die Prophetin Hanna), verkörpern die Gemeinde. Auf der
rechten Seite vor dem Altar stehen Joseph und Maria (ohne Nim-
bus). Das im Lukasevangelium erwähnte Reinigungsopfer - ein
Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben - ist nicht dargestellt,
doch die Kerze in Josephs Händen und die Ampel im Gewölbe
stehen ebenso für das Fest der Reinigung.
Als Abbreviatur des Tempels dient ein durch den Fliesenboden
in seiner Kontinuität ablesbarer Bühnenraum mit dem zentralen
Altarblock. Die Mitte über dem Altar öffnet sich in einen halb-
rund vorkragenden, spitzen Kegelturm, während die seitlichen,
flach gedeckten Baldachine in steilen Wimpergen und flankieren-
den Fialentürmchen endigen. Hinter der Figurenzeile steht der
im Fenster übliche Blattrankengrund, hinter der architektoni-
schen Bekrönung die gleiche Ranke, nun mit eingestreuten Blü-
tenrosetten.
Farbigkeit: 7a: Zwei Frauen: links in grauviolettem Mantel mit
gelbem Futter, hellblauem Gewand und weißem Kopftuch,
rechts in rotem Gewand, weißem Mantel mit rosaviolettem Fut-
ter und grauviolettem Zierband sowie blaßgelbem Kopftuch. 7b:
Simeon trägt ein hellblaues Gewand mit gelbem Zierband, vio-
lette Schuhe, ein weißes Tuch über den Armen und einen weißen
Judenhut, der zweite Jude im Hintergrund ein violettes Gewand
und einen weißen Hut. Christusknabe mit gelbem Nimbus;
Altarstein auf hellbraunem Sockel, vorn geschmückt durch den

27 Schiller, 1,11981, S. 122.; vgl. Sven Stolpe, Die Offenbarungen der
Hl. Birgitta von Schweden, Frankfurt 1961.
28 Kehrer (wie Anm. 26), S. 162-177, 208L, Abb. 181—184, 187-189,
207f., 251-253. - Zur Verbreitung des Motivs in Augsburg (Dom,
Thron-Salomonis-Fenster, Nordportal und Ostchorgestühl), Esslingen
(Chorfenster in Franziskanerkirche und Frauenkirche), Konstanz (ehern.
Chorachsenfenster der Dominikanerkirche), Königsfelden (Chorfenster
nord II), Rottweil (Kapellenturm, Portal), Schwäbisch Gmünd (Hl.-
Kreuz, nördl. Langhausportal) und Mühlhausen im Elsaß (St. Etienne,
Heilsspiegelfenster) vgl. Kdm. Bayern, NF I. Dom zu Augsburg, 1995,
Abb. 226, 288 und 404; CVMA Deutschland I, 1, 1958, Abb. 273 und
299; Kat. Ausst. Köln 1998, Nr. 48.1; Maurer, 1954, Abb. 99; Hart-
mann, 1910, Taf. 3c, 8, iof., 20, 27; Lutz/Perdrizet, 1907, Taf. 103.
29 Speculum humanae salvationis, Codex Cremifanensis 243 des Bene-
diktinerstiftes Kremsmünster, Kommentar von Willibrord Neumüller
(Glanzlichter der Buchkunst 7), Graz 1997, Faksimile fol. i4v.
 
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