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Parello, Daniel; Hess, Daniel
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Marburg und Nordhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,3: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.52865#0030

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KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG

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de bereits 744 gegründet und direkt dem Heiligen Stuhl unterstellt; unter Karl dem Großen erhielt es den Status
einer Reichsabtei, womit es dem Zugriff partikularer Machtinteressen und weitergehenden Ansprüchen enthoben war.
Ebendieses Ziel verfolgte auch Bonifatius’ Nachfolger Lull, der Hersfeld im Jahr 775 dem König übertrug. Zusammen
mit Lorsch, dem Kloster des fränkischen Reichsadels, waren auf diese Weise drei kirchliche Machtzentren unter welt-
licher Kontrolle entstanden. Darüber legte sich ein dichtes Netz der Pfarrorganisation. Der Erfolg dieser kirchlichen
Verwaltungsstruktur lässt sich u.a. daran bemessen, dass die Reichssteuer noch im Jahr 1495 nicht nach Stadt- und
Dorfgemeinden, sondern nach Pfarreien eingezogen wurde14.
Innerhalb des kirchlichen Netzwerkes waren die Klöster bis in das 13. Jahrhundert hinein Mittelpunkte der Bildung,
Kultur und Wissenschaften. Zahlreiche Benediktiner nie derlassungen in unserem Gebiet sind auf Stiftungen hessischer
und benachbarter Grafenhäuser zurückzuführen, wozu Wetzlar, Limburg und Helmarshausen zählen, das Kaiser
Heinrich II. 1017 dem Paderborner Bischof schenkte. Auf königliche Gründungen gehen hingegen das Oberkaufunger
Stift zurück, in das sich die Kaiserin Kunigunde nach dem Tod ihres Mannes begab, und mit einiger Wahrscheinlichkeit
auch das Kanonissenstift in Wetter15. Aufgrund ihrer engen Verbindungen zum hohen Adel waren im 12. Jahrhundert
in Hessen vor allem die Prämonstratenser erfolgreich; in Altenberg an der Lahn richteten sich die Grafen von Nassau
ihre Erbgrablege ein, während das Kloster Ahnaberg in Kassel Begräbnisort einiger hessischer Landgrafen wurde16.
Demgegenüber war den Zisterziensern in Hessen weniger Erfolg beschieden. Aus der Frühzeit des Ordens kennen
wir gar keine Niederlassungen, und auch die ersten, zunächst als Benediktinerklöster gegründeten Niederlassungen
in Altenburg und Aulisburg mussten in günstigerer Lage in Arnsburg und Haina später neu errichtet werden. Dank
ihrer ausgedehnten landwirtschaftlichen Kultivierungstätigkeit gelangten die Zisterzienser zu bedeutendem Wohl-
stand und errichteten in größeren Städten zahlreiche Handelsniederlassungen. Dort - in den Städten - waren Adelige
und Patrizier die hauptsächlichen Förderer der Franziskanerniederlassungen, was durch die erhaltenen oder überlie-
ferten Fensterstiftungen etwa des Limburger Klosters eindrücklich belegt ist. Unter den geistlichen Ritterorden steht
der Deutsche Orden an erster Stelle. Durch Verhandlung mit den Thüringer Landgrafen erhielt der Orden das Hospital
der Hl. Elisabeth und baute Marburg zur Landkommende der Ballei Hessen aus.
Um das sächsische Adelsgeschlecht der Liudolfinger in seinen Expansionsbestrebungen zu beschränken, gab der ost-
fränkische König Arnulf das Herzogtum Thüringen im Jahr 892 an Konrad den Älteren. Die Konradiner hatten seit
der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts die hessischen Grafschaften übernommen und herrschten über weite Teile des heu-
tigen Hessen und Thüringen; auf sie gehen auch die Stiftsgründungen von Limburg und Wetzlar zurück. Doch konnte
dieser politische Schachzug des Königs den Aufstieg der Liudolfinger nicht verhindern. Heinrich L, der im Jahr 915
ein Heer Konrads I. besiegt hatte, wurde nach dessen Tod im Jahr 919 in Fritzlar zum König gewählt. Schließlich
fiel auch die hessische Grafschaft (comitatus Hassonum) an Heinrichs Enkel Liudolf. Dieser hatte sich gegen seinen
Vater Otto I. (reg. 936-973), den Großen, aufgelehnt und musste nach einem Reichstagsbeschluss zu Fritzlar 953 seine
hessischen Besitztümer an den König abgeben. Eine wesentliche politische Strategie der Ottonen und Salier bestand
fortan in der Verhinderung allzu mächtiger Grafengeschlechter. So gingen allein zwischen 1011 und 1043 mindestens
acht Grafschaften über die Bistümer Fulda, Paderborn, Würzburg, Trier und Mainz an die Reichskirche über. Eine
Folge dieser Politik war die territoriale Zersplitterung des Landes.
Die thüringische Epoche in Hessen (1122-1247) setzt mit dem Geschlecht der Gisonen ein, denen die Grafschaft
Maden mit der Burg Gudensberg gehörte17. Die beiden Ehen Kunigundes von Bilstein waren für die Ausweitung der
thüringischen Machtposition in Hessen von entscheidender Bedeutung. Nach dem Tod ihres Mannes Giso IV. 1122 fiel
ein Teil dessen Erbes an die Tochter Hedwig, die mit Graf Ludwig I. von Thüringen verheiratet war. Kunigunde aber
heiratete 1123 Heinrich Raspe I. (f 1130), den Bruder Graf Ludwigs. Da Heinrich kinderlos verstarb und auch Giso V.
(f 1137) keine Erben hinterließ, gelangte so nahezu der gesamte Besitz an Ludwig (f 1140). Hinzu kam die Herrschaft
über die Städte Kassel und Marburg sowie die Vogteien über die Stifte Fritzlar, Wetter und die Abtei Hersfeld.
Trotz seiner Weiträumigkeit - einzelne Herrschaftsteile reichten bis nach Koblenz und ins B ergische Land - war das neu
entstandene Territorium von zahlreichen kleineren Gewalten durchsetzt, die mit der Unterstützung des Mainzer Erz-

14 Peter Moraw, Hessen und Thüringen in der deutschen und euro-
päischen Geschichte - Von den Anfängen bis zur Reformation, in: AK
Marburg/Eisenach 1992, S. 16-23, Der S. 17.
15 Demandt U980, S. 134-138.

16 Zu Altenberg s. zuletzt Thomas Doepner, Das Prämonstraten-
serinnenkloster Altenberg im Hoch- und Spätmittelalter. Sozial- und
frömmigkeitsgeschichtliche Untersuchungen, Marburg 1999.
17 Zur Dynastie der Ludowinger s. jetzt Paravicini 2003, I, S. 149-
154 (Matthias Werner).
 
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