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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

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Heft 24 (2. Septemberheft 1917)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0278

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O

dieses Iunkertums unter sich. And
auch bei uns pflegen Adel und Offü-
zierstand sich selbst einen strengeren
Gehorsam abzufordern als ihren
Untergebenen. Wie sich Wachstum
und Volkstümlichkeit unsrer Par»
Leien zu SLrenge oder Lockerkeit
ihrer Zucht verhalten, ist auch nie-
mandem ein Geheimnis.

Dieses Gesetz der Anziehungs-
kraft der Strenge steht aber des M»
heren unter zwei Bedingungen. Wir
kannten sie schon in der Schule.
Unsere strengsten Lehrer liebten oder
wenigstens achteten wir im allge»
meinen am meisten. Aber erstens
teilten nicht alle unter uns diese
Lmpfindung, und zweitens nicht ge«
gen alle unter den gestrengen tzer--
ren fühlten wir sie gleichmäßig.
Auf die lotterigsten unter den Schü«-
lern versagte die strenge Zucht ihre
Anziehungskraft. Das ist das eine.
Noch gänzlicher versagte sie zwei«
tens denjenigen — leider nicht we--
nigen — Lehrern gegenüber, deren
Strenge nicht den Eindruck der Not«
wendigkeit hervorzurufen verstand.
Wir erinnern uns wohl alle an
einige unserer Lehrer, deren tzärte
wir ganz allgemein haßten und so-
gar mit wilder Verachtung und er«
bitterter offner oder heimlicher Ge--
genwehr beantworteten. Das waren
die, deren Strenge uns willkürlich
anmutete, durch Sache und Zweck
nicht gerechtfertigt, oder gar klein-
lich und gehässig. Unter denen, de»
ren Zucht Notwendigkeiten betraf,
unterschieden wir dann die, deren
Rnerbittlichkeit von einer Liefen
Menschlichkeit getragen war, und
die waren es, die wir liebten, ja,
auf die wir stolz waren, während
wir den andern nur Gehorsam und
Achtung zollten.

Diese Bedingungen kehren auch
in den großen Verhältnissen des
Völkerlebens wieder. Man kann
sie auch dahin zusammenfassen: der
Zwang der Zucht darf das Gefühl

der Freiwilligkeit nicht lähmen, son«
dern umgekehrt, er muß es erwecken.
Denn als Notwendigkeit empfinden
wir das, von dem uns ein tiefes
Gefühl sagt, daß es unserm eignen
innersten Willen gegen Oberflächen-
wünsche entspricht. (Dies ist es, das
alle Religion im Grunde immer
wieder zu schaffen sucht: diesen
Einen Weltwillen in die einzelnen
Hineinzuwirken, der alles Aufwärts«
gehen hervortreibt: Notwendigkeit
in Freiwilligkeit umzuempfinden,
besser: als Freiwilligkeit zu erken«
nen; fühlen zu können, daß unser
Wille nur dann frei ist, wenn er
sich auf Notwendigkeiten richtet,
weil er nur dann aus seinem eige«
nen tiefsten Sein und Wesen lebt.)

Die Strenge der deutschen
Staatseinrichtung versagt ihre An-
ziehungskraft erstens auf die nie«
dergehenden Bationen. Man kann
tzaß oder Bewunderung gegen die
deutsche „Barbarei" geradezu zum
Kulturmesser der Nationen und der
Einzelnen machen und wird selten
fehlgehen. Und dies ist die Gegen-
rechnung, die wir aufstellen wollten.

Leider wird sie durch die zuzweit
erwähnte Bedingung gestört: die
Straffheit der Zucht in unseren
Linrichtungen ist nicht völlig sach-
lich bedingtz geschweige, daß sie im^-
mer durch Menschlichkeit, durch ein
tiefes Begleitgefühl von Sympathie
oder Gleichgestimmtheit Stolz und
Begeisterung erweckte. Das hat, wie
wir sahen, geschichtliche Gründe.
Aber unsre Volkszukunft hängt dar--
an, daß es uns gelingt, die in
unserm System stark angelegte und
unserm Volksgeist so sehr entspre--
chende Sachlichkeit bis zu völliger
Äotwendigkeit herauszuarbeiten. Es
wäre verderblich, wenn umgekehrl
an die Elemente der Willkür, der
Plötzlichkeit, des Unfehlbarkeits--
schwindels, des Klassendünkels, der
MenschenfeindlichkeiL und des Miß--
Lrauens, die es noch enthält, eine

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