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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

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Heft 8 (2. Januarheft 1918)
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Aus dem Briefwechsel zwischen einem Deutschen und einem Neutralen
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0063

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regen konnten, die freilich kein gutes Vorbild für die Weltpolitik sind. Wir brau -
chen die Hoffnung nicht anfzugeben, daß auch auf unserm jetzt so ausgesaugten
Boden die Ernten großzügiger Menschlichkeit wieder reifen werden. Kämen Sie
zu uns, so würden Sie sehen, daß sie immerhin schon auf manchem nicht kleinen
Felde grünen. Ein Weilchen noch, und Sie werden bei uns vom „kommenden" und
nicht mehr vom „herrschenden" Typ des Weltbewohners zu reden brauchen.

Vom tzeute fürS Morgen

Das Neue von Brest-Litowsk

iejenigen politischen Führer und
Tagesschriftsteller, denen Beth--
mann Hollweg „schwächlich", Kühlmann
„anglophil", Ezernin als das leibhaf-
tige „Verhängnis" des Vierbundes er-
scheint, haben jetzt ein seltsam leichtes
Spiel. Gleichviel, was in Brest-Litowsk
„herauskommen" wird, schon das ganze
Verfahren dort ist nach ihrer An°
sicht dilettantisch und unwürdig. Und
sie dürfen dabei um so mehr auf
Zustimmung rechnen, als ihnen nicht
nur alle politisch in überlieferter Meise
Denkenden zustimmen werden, sondern
auch die sehr vielen, die erst während
des Krieges die Praxis des politischen
Geschäftes gelernt haben, nämlich die
Praxis von gestern, und die nun nicht
geneigt sind, schon wieder umzulernen.
Die politische Technik von gestern, die
man in ihren tzauptzügen ziemlich gut
im Betrieb des Schleichhandels, noch
besser in der Schule Llohd Georges
oder Ribots kennen lernen kann, be-
ruhte bekanntlich auf einer Anzahl
ziemlich leicht begreifbarer, aber nicht
ebenso leicht anwendbarer Maximen.
Vor dem Friedensschluß kam es vor
allem daranf an, sich als den unbedingt
Aberlegenen hinzustellen, der mit Spaß
noch zehn Iahre weiterkämpfen würde,
falls es der Laune des Anderen so
gefiele. Auf Grund dieser Voraus-
setzung sorderte man vom Gegner das
Zwei- bis Zehnfache von dem, was
man wirklich haben wollte oder er-
langen zu können glaubte. Für hoch-
wünschenswert galt es, den Gegner zu
überlisten, z. B. ihn in seinem falschen
Glauben zu lassen, mehrdeutige Wen-
dungen nachträglich sehr eindeutig zu
interpretieren, in einem späten Ver-
handlungsstadium plötzlich neue For-
derungen aufzustellen, die man durch
doppelsinnige Worte zwar vorbereitet,
aber nicht wirklich ausgesprochen hatte.

Als Ziel galt: so viel Geld- und
Landerwerb wie möglich. Spiel mit
offenen Karten war in diesem Licht
kindisch, Wahrhaftigkeit höchstens eine
Finte mit doppeltem Boden. Die Vor-
aussetzungen des Verfahrens waren
etwa folgende: jeder Staat ist dem
andern urfeindlich, was höchstens durch
Bündnisse gemildert, letzten Endes nicht
aus der Welt geschafft werden kann;
jede Regierung muß für „ihr" Volk
möglichst viel herausschlagen, damit die
Anzufriedenheit mit dem Kriege — die
immer lauert — abgelenkt werden
kann auf die Zufriedenheit mit dem Er-
reichten; man muß überhaupt recht viel
Vorstellungnebel erzeugen, Phrasen i»
die iWelt setzen, Lärm machen, damit
sich die Leute nicht zurechtfinden, denn
das, worum es sich wirklich handelt,
verstehen sie ja doch nicht.

Nach all diesen Gesichtpunkten hat
die Delegation der Vierbundmächte in
Brest - Litowsk nicht gehandelt; folg-
lich, so schließen ihre inneren Gegner,
hat sie die Interessen der vier Völker
mißhandelt. Es ist ja ganz offenbar:
man sucht mit Rußland nicht nur be-
waffneten Frieden, sondern freund-
schaftlichen Frieden; man hält der-
gleichen also für möglich und die Vor-
aussetzung der Arfeindschaft in diesem
Falle für falsch. And offenbar ver-
sucht man weder mehr „herauszu-
schlagen" als der Gegner, der zum
Freund werden soll, vernünftigerweise
billigen kann, noch sucht man die
Völker „einzuseifen" — es erscheint
vielmehr ein erträglich osfenherziger
Tagesbericht über die Brest - Litowsk-
Vorgänge. Somit känn man auch
auf Täuschungsversuche, auf Bra-
marbasieren und auf diplomatische
Ränke verzichten. Die „Bedingungen"
von Brest-Litowsk machen auch bei
ernsthaftem Nachdenken wirklich den
Eindruck, so gemeint zu sein, wie

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