Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 20.1902

DOI Artikel:
Beck, Paul A.: Korrespondenz zwischen Lavater und dem Dichter Schubart über ein Kunstwerk aus Elfenbein
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.18298#0100

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Haber von religiösen Kunstsachen war,
deshalb mit folgendem Billet an Schubart:
„Mein lieber Schnbart!
Nur ein-e nähere Nachricht mit zwei
Worten, wenn ich bitten darf, von dem
Christus in Elfenbein. Gerade so einen
in Hartholz haben wir hier. Bitte mir
den Preis und was nötig ist zu melden.
Leben Sie wohl, grüßen Millern und
erfreuen durch etwas Mannlichern, edlern
unschmackischern Ton in Ihrer Chronik
— alle Wochen ein- oder zweimal —
Ihren Leser Johann Kaspar Lavater.
Zürich, den 3. Februar 1776."
Schnbarts eingehende Antwort lautet:
„Ulm, den 7. Februar 1776. Ich eile,
vortrefflicher Man», Ihnen die verlangte
Nachricht wegen des Christus von
Elfenbein zu erteilen. Baron Nench-
lin, ein Katholik, ist der Besitzer davon.
In Nom erhandelte er dies Kunstwerk
schon vor mehr als 30 Jahren. Kaiser
Franz bot ihm 1000 Dukaten darauf. Da
aber Renchlin damals in sehr guten Um-
ständen war, so behielt er seinen Christus.
Nun ist er (weiß nicht, durch was vor
Unfälle) so weit heruntergekommen, daß
er hier privatisieren und all' seine Kost-
barkeiten veräußern muß. Er ließ mich
zu sich kommen, zeigte mir seinen Christus
und bat mich, ihn in meiner Chronik
öffentlich feil zu bieten. — Wie gesagt,
man müßte Winkelma n n s oder Lavalers
Auge, ihre starke Sprache haben, um
alles Große und Göttliche dieses Kunst-
stückes auffassen und beschreiben zu könne».
Mich Halls fast versteinert. Der Christus
ist anderthalb starke Mannsspannen hoch,
vom reinsten Elfenbein, nichts bis auf die
kleinsten Nebennmstände, nichts zusammen-
gesetzt. Sogar der Strick, womit die
Hände rücklings an einem Block befestigt
sind, hat nicht das mindeste Merkmal von
Leim oder Kitt. Die Finger und Zehen
hangen, der Dauer halber, durch ein
kleines Stückchen Elfenbein zusammen.
Die ganze Figur ist noch so wohlbehalten,
als wenn sie gerade aus des Künstlers
Händen käme. Auch's Piedestal, das sehr
schmal ist, hangt mit der ganzen Figur
zusammen. Alles ist so edel, so groß,
so mit anhaltendem Genie und Fleiß ge-
arbeitet, daß ich den sehen will, der mir
an diesem Meisterstück was tadeln könnte.

Man glaubt, es sei nicht nach und nach
gemacht, sondern mit eiuemmale er-
schaffen. Ueber'm Lichte, das das
Genie über den Christus verbreitet, ver-
gißt man der außerordentlichen Kunst und
langen Arbeit des Meisters. Tiefergedach-
tes und Tiefergefühltes Hab' ich in meinem
Leben nichts gesehen — Hab' doch schon
vieles gesehen! Da steht die nackte Figur
eines Menschen, dem maills ansieht, daß
er sein Lebtag keine Ausschweifung beging.
Seine Muskeln sind schraff, sein Fleisch
ist körnigt, nicht steckich?) und durch un-
mäßige Leibespflege mollicht?) Der Bauch
ist eingebogen, nicht wanstichtZ) die Haupt-
haare sind dicht und wölben sich in einem
halben Zirkel, nicht schlangeuförmig mm
die Stirne; ich meine hier die Seitenein-
schnitte an der Stirne, die bei Wollüstigen
immer tiefer werden, je mehr ihnen Haare
aussallen. Man siehlls, daß nicht eine
Haarwurzel durch Ausschweifungen ver-
trocknet ist. — Wie gegenwärtig, wie
bleibendgegenwärtig muß der Gott in
Menschengestalt dem Künstler gewesen sein!
Alles dies sag' ich nur nach meiner
Empfindung. Sie, vortrefflicher Lavater,
würden noch 1000 Dinge sehen, die mir
entwischt sind. Unbeschreiblich ist mir der
Geist des Gesichts nnter'm Leiden. Die
Gesichtsmuskeln hängen da nicht alle, wie
bei leidenden Menschen herunter, als wann
die dort es aufgäb(en), sich zu trösten;
nein! die größer?) dort hält sie empor
und aller Ausdruck der inneren Leiden und
körperlichen Schmerzen ist hier nur ein
Wölkchen, das sich vom Gewitter losriß
und einsam am schönsten Himmel hinzieht.
— Das wär' nun wohl ein Kunststück
für einen Liebhaber und Kenner wie La-
vater. Aber — der hohe Preis! Gegen-
wärtig bietet's Baron Renchlin vor
1000 Dukaten; seine dringenden Umstände
aber und der Mangel an Kennern und
Käufern ('s Geld ist so klemm) können
diesen abschreckenden Preis noch sehr weit
hernnterbriugeu. Ich will diesen Christus
scharf ins Aug' fassen und Ihnen alles
auf der Stelle berichten, was mit ihm
C Steckicht wohl — steif (auch steggelig).
2) Mollicht — voll, fleischig (mollig heute
uoch gehört).
Wausticht, wanstig — vollbauchig.
0 d. h. Gesichtsmuskel.
 
Annotationen