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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 15.1870

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https://doi.org/10.11588/diglit.13588#0098

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82

„Trübung ihres Sinnes" klar genug. Abermals in ehrliches
Deutsch übersetzt, würde die Stelle etwa lauten: „Ich möchte
mir nicht gern die Finger verbrennen, sonst würde ich dem
Leser leicht zeigen können, wie wenig die Leistungen der Jung-
hegelianer der Ausbildung der Wissenschaft förderlich gewesen
sind." Das, nicht wahr, wollten Sie wohl sagen? „Es ist
an der ganzen Neuhegelei nicht viel daran" — dies ist Ihre
wahre Herzensmeinung, die deutlich zwischen den Zeilen zu
lesen; und sie geht auch, wenn man die Höflichkeitsphrasen auf
ihren wahren Werth reducirt, schon aus den folgenden Worten
hervor: „So kann mit Dank Arnold Ruge's gedacht werden,
„theils um seiner „Vorschule der Aesthetik", noch mehr (!) um
„der lebendigen Thätigkeit willen, mit welcher er als Kritiker
„häufig (!) mit dem vollsten Recht der Sache, immer frisch und
„anregend, der Anschauungsweise der neueren Aesthetik
„Bahn zu brechen wußte". — „Da freilich" — mußten Sie
hinzusetzen — „die Anschauungsweise der neueren Aesthetik, wie
gezeigt, nichts taugt, so ist dieser ihr Bahnbrecher der wahren
Wissenschaft nur schädlich gewesen." Von seiner „Platonischen
Aesthetik" scheinen Sie ebenso wenig zu wissen, wie von Ro-
senkranz'„Aesthetik des Häßlichen", da Sie diese (später) kaum
dem Namen nach erwähnen.

„Nicht ebenso kurz zwar" — fährt nun Herr Lotze
fort — „doch kürzer, als ich selbst möchte" (weshalb?)
„bin ich gezwungen" (von wem?), „in diesen allgemeinen Theil
„meiner Arbeit der wesentlichen Dienste zu gedenken, welche
„Fr. Wilh. Bischer theils in verdienstvollen monographischen
„Arbeiten, theils in seiner umfänglichen Aesthetik als Wissen-
„schaft des Schönen der Erweiterung, Vervollständigung und
„dem methodischen Ausbau des ästhetischen Gedankenkreises ge-
„leistet hat. Diese wissenschaftlichen Leistungen gehören so sehr
„der Gegenwart an, und diese Gegenwart flicht dem
„geistreichen" (bedanken Sie sich für dieses — Lob, Herr
Bischer!) „Schriftsteller so viel Kränze der Anerken-
„nung, daß er meines Lobes entbehren und ich unbedenk-
„licher die Zweifel erwähnen kann, deren Beseitigung wir von
„seiner noch frischen Kraft hoffen dürfen". — Wir glauben,
daß dieser gewundene, aber in der „Trübung seines Sinnes"
doch ziemlich durchsichtige Styl keines Kommentars bedarf. —
Ganze vier Seiten werden nun den „Zweifeln" des Verfassers
über die Vischer'sche Aesthetik gewidmet; aber wenn schon die
Explikationen des Verfassers über Hegel armselig und lückenhaft
waren, so sind sie hier von geradezu kläglicher Einseitigkeit.

Mag Bischer, falls er es der Mühe Werth hält, gegen solche
Art von Kritik selber Protest einlegen, wir verzichten darauf,
sie näher zu beleuchten. Nur dies Eine müssen wir noch be-

merken, daß es sich unsrer Ansicht nach in einer wissenschaft-
lichen Geschichte weder um „Lob" noch um „Tadel" handelt, son-
dern vor Allem um objektive Charakteristik des Inhalts.
Wenn der Vers, noch auf dem einseitigen Standpunkt des gewöhn-
lichen Laienbewußtseins steht, daß er die Aufgabe der Kritik in's
Loben oder Tadeln setzt, dann kann man sich allerdings nicht
darüber wundern, wenn es mit seiner Charakterisirung der
Aesthetiker und ihrer Leistungen so schlecht bestellt ist. Wer
kümmert sich denn um Ihr Lob, Herr Lotze? — Gewiß kann
Bischer des Ihrigen entbehren; weniger aber möchte der Leser
damit zufrieden sein, daß Sie ihm, statt einer das Princip und
den reichen Inhalt des Vischer'schen Werkes objektiv
darstellenden Charakteristik, Ihre „Zweifel" über einige,
beiläufig gesagt, ganz äußerliche Dinge in dem Vischer'schen
Werk, wie das „Hineinwachsen der Kritik in den Text" u. dgl.
zum Besten geben.

Um das Bisherige in ein Resultat zu fassen, müssen wir
sagen, daß es dem Verfasser in seiner „Geschichte der Aesthetik in
Deutschland" gar nicht um eine objektive, organisch geglie-
derte Geschichte der Aesthetik zu thun ist, in welcher den ein-
zelnen Aesthetikern auf Grund der Abwägung des von
ihnen qualitativ und quantitativ Geleisteten die
entsprechende Aufmerksamkeit gewidmet wird, damit der Leser
ein richtiges Bild von der geschichtlichen Entwicklung der Wissen-
schaft und ihrer Vertreter erhalte, sondern um ein meist zu-
fälliges und willkürliches Aneinanderreihen von Kompilation und
Reflexion, und zwar der Art, daß die Auswahl des Kompilirten
von dem Belieben dieser Reflexion bestimmt erscheint. Was
aber am meisten für die Beurtheilung des Lotze'schen Werkes
in die Wagschaale fällt, ist der Umstand, daß, da der Vers, es
geflissentlich vermeidet, seinen eignen philosophischen, resp. ästhe-
tischen Standpunkt in einfacher und klarer Weise zu bestimmen,
an dem nicht nur seine eigne Kritik einen Maaßstab besäße,
sondern wodurch auch der Leser in den Stand gesetzt wäre,
diesen Maaßstab selber und die aus der Anwendung desselben
sich ergebenden Urtheile des Verf's. zu prüfen, sich durch diesen
Grundmangel seine ganze Darstellung des Stoffs, nicht nur
hinsichtlich der Gliederung und Anordnung, sondern auf beson-
ders hinsichtlich der kritischen Beleuchtung desselben, völlig system-
und principienlos hinstellt und dadurch — nämlich durch den
Mangel jeder Methode und jeder festen Grundansicht — in einen
seichten, mit zahlreichen Widersprüchen behafteten Eklekticismus
hinein geräth.

Diese Widersprüche sämmtlich nachzuweisen, gestattet der
beschränkte Raum unserS Journals nicht; einige Beispiele werden
genügen. (Forts, folgt.)

Korrespondenzen.

üffeldorf, Anfang März. (Ausstellung bei Bis-
meyer und Kraus: „Die Schirmer'schcn bibli-
schen Landschaften".) Wenn wir unsere Ausstellungen
einmal wieder mit den Werken eines so großen Meisters,
wie I. W. Schirmer war, geschmückt sehen, so ist uns,
als ob nach vielen gemeinen Werktagen es endlich einmal
Sonntag geworden wäre. Die größeren ausgeführten Farbenskizzen
zu den biblischen Landschaften Schirmcr's bieten uns den seltenen und

lange entbehrten Genuß, eine einheitliche und gewaltige Idee mit der
ungetheilten Kraft eines wahren Meisters durchgearbeitet zu sehen.

Die ausgestellten 26 Gemälde sind nicht ausgeführte Werke, in
denen der Meister den ganzen Schatz seines Könnens und Empfindens
niedergelegt hätte, auch nicht erste Entwürfe, sondern durchgebildete
Entwürfe, Farbenskizzen größeren Formats, in denen die Wirkung
auf's kräftigste koncentrirt, Komposition aber und Gestaltung bereits
so durchgebildet sind, daß sie uns über Das, was den Meister be-
 
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