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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 15.1870

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https://doi.org/10.11588/diglit.13588#0317

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j *1238.39. j

Beilage.

Z 23. Oktober, k

4 *>

Einen wunderlichen Kontrast zu den beiden Bildern Feuer-
Lachs, denen man — was sonst auch ihre Schattenseilen sein
mögen — jedenfalls nicht den Vorwurf einer Spekulation auf sinn-
lichen Reiz machen kann, bildet das kolossale Bild Schlösser's
„Geburt (oder Trinmphzug?) der Venus". Hier dient das Motiv
zum Vorwände für eine möglichst weitgehende Entfaltung sinnlicher
Formenreize. Die Mitte bildet die freischwebende Gestalt der Venus,
in deren Formengebung der Künstler mit ersichtlicher Mühe ein höchstes
Ideal weiblicher Körper-Schönheit zu realisiren bestrebt gewesen ist.
Die Tritonen, Nymphen u. s. f., welche in mannigfachen, zum Thcil
etwas forcirten, aber immer auf Entfaltung sinnlicher Reize berech-
neten Stellungen auf der Oberfläche des Meeres umherspielen, bilden
nur gleichsam die Statisten für jene Hauptfigur. Diese nun ist,
das kann man anerkennen, ganz plastisch gedacht. Wer die negative
Kraft der Phantasie besitzt, von dieser reizvollen und in ihrer Be-
wegung meisterhaft gezeichneten Gestalt die Farbe fortzudenken, d. h.
sie sich als plastisches Werk vorzustellen, wird an der Betrachtung
dieser reinen Schönheits-Gestaltung seine Freude haben können. Aber
diese Freude wird zum größten Theil gestört durch die Farbe, nicht
blos durch die Farbe überhaupt, sondern durch die bis zur Leckerheit
realistische Färbung. Die Kontraste der lederbrannen Rücken und
Arme der Tritonen zu jener realen Fleischfarbe haben zwar offenbar
die Absicht, diese zu idealisiren, d. h. etwas abstrakt, oder wenn man
will, überirdisch erscheinen zu lassen. Allein der Effekt ist vielmehr
nur ein umgekehrter, sie selber werden unwahr, thierisch, unterirdisch.
— Wir verkennen nicht das eminente Talent des Künstlers, ja wir
erkennen sogar gern sein Streben auf eine höhere Verwerthung der
malerischen Mittel zu Gunsten idealer Schönheit an, aber wir müssen
nichts desto weniger daran festhaltcn, daß der Weg, auf welchem er
zur Erreichung dieses Ziels strebt, auf dem principiellen Mißverständ-
niß beruht, daß sich die plastische Schönheit der Antike koloristisch
verwerthen lasse. Die Schönheit der Antike wird immer durch die
Hinzuthat der Farbe entidealisirt, d. h. in's Unwahre oder Gemeine
herabgezogen werden. Ucbrigeus hat, wie wir beiläufig bemerken
wollen, diese „Venus" von Schlösser eine nicht zu verkennende
Aehnlichkeit mit der Kanlbach'scheu „Venus" im Treppenhause des
Neuen Museums.

Ebenfalls noch ein gewisses Gepräge „historischer" Stylisirung
besitzt A. v. Heyden's „Märchen". Die Situation, über deren
Bedeutung der Titel keinen Aufschluß giebt, leidet etwas an Unver-
ständlichkeit. Nicht weit vom Ufer des Meeres bemerkt mau eine
Gruppe von Felsen, zwischen denen eine Quelle hervorsprudelt. Eine
weibliche Gestalt, vcrmuthlich die Nymphe des Quells, sitzt auf einem
Vorsprunge und spielt einem zu ihren Füßen liegenden jungen Mann
etwas auf der Guitarre vor. Eine Harfe liegt daneben am Boden.
Die Komposition macht den Eindruck einer wirklichen Begebenheit
(natürlich im poetischen Sinne), und so ist es zu bedauern, Laß der
Künstler das Motiv nicht näher bezeichnet hat. Es ist ein eigen-
thümliches und, trotz der ziemlich realistischen Behandlung, geheim-
nißvolles Stillleben in diesem einsamen „Stelldichein"; es gemahnt
den Beschauer wie ein Akt der Bezauberung, dessen Verlauf man
wissen möchte. Die Farbe, soweit man sie bei dem ziemlich ungünstigen

Placement des Bildes beurthcilen kann, hat etwas zugleich Ernstes
und Frisches, das wohlthuend berührt. Eine andere, allegorische
Komposition des Künstlers wird unten erwähnt werden.

„Amor und Psyche" von Adalbert Begas ist von uns schon
früher» bei seiner Ausstellung im Lokal des Künstlervereins, beschrieben
und beurtheilt worden, weshalb wir, darauf verweisend, hier nur
bemerken, daß das gediegene Kolorit, welches ein gründliches Studium
Tizians vcrräth, obschon es unscrm Gefühl nach einen etwas zu
realistischen Eindruck hinsichtlich des gewählten Motivs macht, doch
auch hier in bemerkenswerther Weise zur vollen Geltung gelangt.
Aber die Farbe thut's nicht allein in der Malerei, sie ist — wie in
der Sprache das Wort für den Begriff — immerhin nur der schöne
Körper für die Seele.

Der aufmerksame Leser wird in der Aufeinanderfolge der von
uns in diesem Gebiet namhaft gemachten Werke zugleich eine gewisse
Stufenfolge von abstrakter Stylisirung zu realistischer Behandlung
der Farbe bemerkt haben. Die nun folgenden Werke legen den
Accent noch mehr und vorzugsweise auf die realistische Wirkung des
Kolorits. Ihnen ist es noch wesentlicher um den sinnlichen Reiz als
solchen zu thun. Dahin gehören besonders Schanß' „Nymphe
Callisto" und E. Ewald's „Am Strande". Beide stellen liegende
junge Mädchen in freier Natur dar, die erstere in einem Walde, die
zweite am Ufer des Meeres, jene von der Rückseite, diese von der
Vorderseite gesehen; sonst ziemlich ähnlich, auch gut gemalt. Man
kann uns hinsichtlich des Ewald'sche» Bildes, nämlich, daß wir es
hierher rechnen, den Einwurf machen, daß es dem Titel nach kein
antikes Motiv darstellt. Aber man betrachte beide Bilder und frage
sich, was dem Schauß'schen Bilde ein größeres Recht giebt, für
antik zu gelten, außer daß es im Katalog als „Calisto" bezeichnet
ist. Hier zeigt sich recht deutlich die Willkür, die mit solchen Titeln
getrieben wird; cs ist ganz glcichgiltig, ob dies „Calisto" oder irgend
eine andere Nymphe oder auch gar keine ist: die Hauptsache ist der
schöne nackte Rücken und die meisterhaft gemalte Gestalt überhaupt.
Was das Bild Ewald's betrifft, so vermuthen wir, daß es mit
einem ähnlichen mythologischen Titel angelegt gewesen ist. Denn
wie in aller Welt wäre sonst eine einsam am Strande liegende nackte
Figur zu verstehen? Als Badende? Aber wo ist eine Andeutung
von Kleidern? Solche Einwürfe können Manchem kleinlich erschei-
nen; in Wahrheit liegt aber eine Berechtigung dazu vor. Wollen
wir denn nur schöne Farben und Formen sehen, oder soll die Kunst
noch etwas Anderes leisten als Sinnenkitzel erregen, mögen die Mittel
noch so „genial" und die Behandlung noch so virtuos sein? Beides
streiten wir weder dem Bilde von Schauß noch dem von Ewald
ab; sie sind, wie bemerkt, vortrefflich gemalt, aber sie befriedigen
mehr das Auge als den Geist.

Das Bild von A. v. Heyden hätte zu einer Vergleichung
mit einem ähnlichen Motiv Veranlassung geben können, das wir
hier nachträglich noch erwähnen wollen, nämlich mit Paul's „Der
Fischer. Nach Gocthe's Gedicht." Paul ist ein sehr talentvoller
Künstler, nicht nur in dem Sinne einer hervorragenden technischen
Begabung, sondern auch in Bezug auf geistiges Schaffen. Er hatte
vor zwei Jahren, wie sich unsere Leser vielleicht noch erinnern wer-
 
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