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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 15.1870

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https://doi.org/10.11588/diglit.13588#0264

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248

Es ist keine blos äußerliche Erscheinung, daß viele Kom-
positionen Mintrop's in Stellungen und Verkürzungen und
vorzüglich in absonderlichen Wendungen der Körper lebhaft an
Genclli erinnern, als ob er sie diesem abgelauscht hätte. Das
wäre nun an und für sich kein Tadel, wenn er sich ans Kunst-
traditionen stützt, denn auch Genelli seinerseits holte sie bei Ra-
phael und Michelangelo, diese wiederum bei ihren Vorgängern
und den alten Hellenen, diese endlich lauschten sie der Natur
ab. —- Aber dein ist nicht also; sondern diese eigenthümliche Ans-
drucksweise konnte bei diesen Genicks gar nicht ausbleiben, sie
mußte entstehen mit der Macht eines Naturgesetzes und sich
nothwendig entfalten, wo ein so eigenartiger Genius, wie er
diese Beiden beseelte, sich frei entwickeln und mit seinem poe-
tischen Stoffe frei schalten konnte.

Mintrop fing mit der Darstellung christlicher Stoffe an,
die er auf ganz eigenthümliche Art behandelt: er sog den Honig
des Lieblichen und Naiven heraus und überließ das Bittere und
Herbe Anderen. Das Naive und unschuldig Liebliche ist das
Hauptschönheitselement in Mintrop's Kunstschaffen, und da gerade
dieses Element bei ihin vorherrschte, so lag die antike Auffassung
nahe und mit ihr die Grazie in der Erscheinung.

Im Allgemeinen kann man behaupten, daß die „Grazie"
im engeren Sinne des Worts nicht im Wesen des Germanismus
und also auch nicht in dem der germanischen Kunst liegt. Grazie
(nicht „Anmuth", welche etwas Anderes bedeutet)*) ist wesent-
lich den südlichen Kulturvölkern, den Romanen, eigen. Vielleicht
wird der deutsche Leser sich nicht geschmeichelt fühlen, wenn
das graziöse Element dem Germanen von reinem Schlage
ebensowohl wie den Kindern Israels abgesprochcn und als ein
dem germanischen Geiste Fremdes, als ein ausländisches Wesen,
bezeichnet wird. Ausnahmen freilich läßt jede Regel zu, und
eben Mintrop war eine solche. Mintrop, ein so echter
Deutscher er war, besitzt die Grazie im höchsten Maaße; nicht
in seiner Person, sondern ausschließlich in seiner Kunst: es muß
also wohl eine eigenthümliche Richtung des Geistes sein, die sich
unabhängig von der Persönlichkeit des Künstlers nur in seinen
Werken manifestirt.

Das Naive, das ungezwungen Heitere, leicht Spielende,
kurz das eigentliche Wesen jener Seite der Antike, welche wir
eben, dem großen strengen Style gegenüber, den leichten schönen
Styl nennen: Das war das eigentliche Kunstwesen Genelli's
und nicht weniger das Theodor Mintrop's. Höchst eigen-
thümlich ist cs, daß beide Geistesverwandten mit der Technik des
Malens zu kämpfen hatten, und, obgleich ihnen beiden das Ge-
fühl für Harmonie der Farben innewohnte, ihnen doch die Dar-
stellung des Stoffes als solchen ferne blieb, namentlich die
malerische Nachahmung verschiedener Stoffe, als Holz, Metall
u. dergl., Stoffe, welche in der Malerei mehr oder weniger eine
bedeutende Rolle spielen, an denen sich die Licht- und Farben-
wirkungen als Tonskalen zeigen und welche deshalb insgemein

*) Man kann „Grazie" die Anmuth der körperlichen Bewegung, „An-
muth" die Grazie des Seelenausdrucks nennen. Die Red.

das Studium des Malers ganz besorlders in Anspruch itehlnen.
Der Grund dieser Erscheinung mag wohl darin liegen, daß
Beider Kunstelement eben die Grazie der Gestalt war, welche in
der rein plastischen Bewegung der Form*) beruht und mit
dem Stoffe und seiner naturalistischen Nachahlnung sowohl, als
auch mit der Zufälligkeit irgend eines Lichtcffektes so gut wie
gar nichts zu schaffen hat. Auch die Draperie war beiden,
Mintrop sowohl als auch Genelli, nur Symbol der Bekleidung,
sie verweilten nicht bei der Ausbildung schöner Faltenmotive, wie
wir das bei Schwind finden, noch bei Lichtessekten, die Sammt
und Seide zeigen können — kurz die Draperie als solche war
ihnen werthlos — gegenüber dem hohen künstlerischen Werthe
der Menschengestalt, die sich leichter mit den graziösen Formen
der Pflanzen- und Blumenwelt umkleidet und vermischt mit ihnen
das eigentliche Wesen der Arabeske bildet.

Hat Theodor Mintrop den rein plastischen Rythmus mit
Genelli in seiner Kunst gemeinsam, so tritt uns jetzt eine zweite
Grundbedingung seines Wesens mächtig entgegen, die ihn als den
specifisch deutschen Künstler zeigt: der tiefe poetische Sinn
für die Natur, das lebendige Gefühl der Zusauunengehörigkeit
mit der Natur und der offene Sinn für Alles, was in der
Natur vorgeht. Die Natur ist ihm eine Mutter, die ihren Kin-
dern Gaben austheilt, ein Wesen, welches menschlich empfindet,
lachen und trauern kann. Mintrop bedarf keiner hellenischen
Göttergestalten zur Darstellung seiner Kunstideen, auch nicht der
heimischen Götter der alten Germanen: er schafft sich seine My-
thologie selber. Seine Mutter-Erde in vier Gestalten (als
„Jahreszeiten"), seine Wein- und Liebesgötter, seine Blumenelfen
sind aus eigener Phantasie geschaffen, nichts Entlehntes. Ebenso
geht es mit der Form, mit dem Rahmen, irr welchem seine Ge-
stalten sich bewegen. Ihm sagt z. B. die antike Form zu, aber
sein Geist klemmt sich nicht in diese Form fest, um sich mühsam,
pedantisch und schwerfällig in derselben zu bewegen, was so eigent-
lich die deutsche Art wäre; wie der graziöse Schmetterling flattert
er frei umher und thut so recht, was ihm beliebt! Dabei Hilst
ihm seine wirklich antike graziöse Muse über diese Kluft mit
Leichtigkeit hinweg. Er sucht die Formen, welche seinen Gefühlen
am meisten zusagen, weil er sich am leichtesten darin bewegen
kann. Er malt die Arabeske mit Vorliebe, das leichte spielende
Pflanzengewinde, welches sich rythmisch fortschlängelt, wie die
Wellen des Baches, und sich eben so fließend wie diese um die
bewegten Körper der jugendlichen Jdcalgebilde schmiegen, die
Mintrop über seiner Arabeske aus dein Füllhorne seiner heitern
Laune anszuschütten beliebt. (Forts, folgt.)

*) Wir haben zu wiederholten Malen darauf aufmerksam gemacht, daß
der Grund des Gegensatzes der „antiken" und „modernen" Kunst — ein
Gegensatz, der mit dem des plastischen und malerischen Gestaltungs-
princips identisch ist — darin liegt, daß die reine Forni abstrakter ist als
die Farbe und daß deshalb plastische Motive überhaupt (und diesen Charakter
tragen alle antiken Motive, da die Antike wesentlich Plastik ist) der Farbe im
Sinne koloristischer Naturwahrhcit widerstreben. Es ist daher nur eine Kon-
sequenz der antikisirenden Richtung Geuelli's und Mintrop's, daß sie vom
Koloristischen abstrahirten, nicht aus Unfähigkeit zu malen, sondern weil sie
die Motive eben nicht malerisch, sondern plastisch anschauten. D. Red.
 
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