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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

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Klein, Rudolf: Vom Wesen der künstlerischen Begabung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0315

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t'om Wesen der künstlerischen Begabung,

ARCHITEKT CARL WITZMANN-WIEN.

Speise-Zimmer in Vogeiahorn.

Teppich von J. Ginzkey.

Bemerkung fallen: ein Genie werde überhaupt
nicht Schlachtenmaler! Ich stieß auf heftigen
Widerspruch, der sich mäßigte, als man in der
Tat keines anzugeben wußte, das ausschließ-
lich Soldatenbilder gemalt habe. Meissonier
ließ ich nicht gelten. Und daß Michel-Angelo
und Lionardo je einen Karton zu einem Schlach-
tenbilde entworfen haben, sprach für meine
Behauptung, wie auch, daß jene kriegdurch-
tobte Zeit Philipps IV. einen Velasquez nur
zur »Übergabe von Breda« (keinem eigent-
lichen Schlachtenbilde), und einen Rembrandt
die Befreiung der Niederlande nicht einmal zu
einer ähnlichen Leistung angeregt habe. Sollte
meine Annahme die richtige sein, so stimmte
sie mit der Ansicht derer überein, die im Genie
den Propheten sehen, der die tiefsten Geheim-
nisse des Menschen deutet und auf eine Art,
die in die Zukunft weist, den Seher, dem äußere
Anlässe und Vorgänge als solche nie genügen,
vielmehr nur, so sie ihm Mittel zu seinem
Zwecke sind. Kurzum, das Genie wäre der

Entwicklungsring der Menschheit, die schöp-
ferische Ader, der Fortbildungsfaktor. Hier-
bei darf aber nicht vergessen werden, daß
es auch nach dieser Definition große und
kleine Genies gibt. Denn es scheint mir
ein ziemlicher Unfug, den Begriff Genie, gerade
wenn man ihn physiologisch deutet, nur auf
Menschen wie Goethe u. Beethoven anzuwenden:
die im Vordergrunde stehenden Schöpfer einer
jeden weiteren Kulturphase tragen die Merk-
male des Genies, die es wesentlich vom Talent,
das nicht selten quantitativ umfassender sein
kann, unterscheiden. Diese Auffassung vom
Genie bringt es ferner mit sich, daß wir dort
leicht seine Art vermuten, wo das Mystische
sich bemerkbar macht. Der Schluß ist nicht
unrichtig, doch einseitig. Leicht kann einer
in der unklaren Brühe der Mystik plätschern
wie eine Unke im Sumpf, ohne je Gerades
zustande zu bringen. Anderseits möchten nun
manche wohl von dem Standpunkt aus einem
Schleifer so klarer Gedanken-Kristalle wie Kant

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