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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

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Klein, Rudolf: Vom Wesen der künstlerischen Begabung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0316

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Rudolf Klein—Berlin

ARCHITEKT CARL WITZMANN — WIEN.

Damen-Salon in Zitronenliolz.

Ausgeführt von J. Homolka—Wien.

die letzte Genietiefe absprechen, eben weil sie
das Mystische, das man auch das Musikalische
nennen kann, an ihm vermissen. Wer aber
vermöchte festzustellen, ob nicht im rein phy-
siologischen Sinne das mystische Element bei
der Bildung jener Gedanken-Kristalle in gleich
hervorragendem Maße am Werke war, und nur
die Willensklarheit die mystischen Schatten er-
hellte: gehen doch Phantasie und Mathematik
Hand in Hand, ist das wirklich Schöpferische
auf allen Gebieten ein Akt der Phantasie. Nur
bei den Halbheiten ist eine sichtbare Trennung
augenfällig und ist Formvollendung das Zeichen
höchster Schöpferkraft. Dabei übersehe man
ihre verschiedenen Äußerungsformen nicht und
beachte, daß es zwei Arten von Formkristallen
gibt: jene, die sich gewissermaßen unterhalb
der Bewußtseins-Schwelle bilden, das Orna-
ment: die Form der Primitiven und Romantiker,
und die, die aus der Empfindungssphäre dieser
Subjektivität hinaus in die letzte Äußerungsform

subjektiv-objektiver Fassung, individualisiert-
typischer Darstellung gewachsen sind: Antike
und Renaissance. In ersteren wird das Mystische
überwiegen, in den folgenden verarbeitet sein.
Und ob nicht das lyrische und dramatische,
das politische wie strategische Genie mit leisen
Schwankungen rein physiologisch betrachtet
auf den gleichen Voraussetzungen beruhen, ist
nicht unwahrscheinlich.

Ich habe diese Anmerkungen zum Wesen
des Genies versucht, das Gleiche in Bezug auf
das Talent zu tun, muß ich unterlassen. Nur
auf eins möchte ich hinweisen und so dem
Genie in die Werkstatt folgen, auf die Erschei-
nung eines Mangels, den wir nie beim Talent
antreffen. Es gibt Künstler, die durchweg die
Merkmale des Genialen tragen, deren Werke
aber auffallende Schwächen zeigen, Schwächen,
die beim Talent undenkbar sind, das jeden
Augenblick über alle seine Fähigkeiten verfügt.
Diese Künstler kennzeichnet ein schwererKampf,

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