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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

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Klein, Rudolf: Vom Wesen der künstlerischen Begabung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0317

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Vom Wesen der künstlerischen Begabung.

ARCHITEKT CARL WITZMANN—WIEN.

Damen-Salon mit Fenstersitz.
Ausgeführt von J. Homolka—Wien.

ein stetes Ringen. Feuerbach und v. Mare'es
zählen unter sie. Und wiederum finden wir
diesen Mangel in so leisen Spuren, daß wir ge-
neigt sind, von der Kindlichkeit des Genies
zu reden. Verwandte Ursachen scheinen auch
dazu geführt zu haben, daß der Volksmund
(der meist das Rechte wittert) das Wort vom
verkommenen Genie prägte. Das Wort ist
arg gemißbraucht worden, aber es unterliegt
keinem Zweifel, daß gerade der Entwicklung
genialer Naturen ein an Gefahr und Hinder-
nissen überreicher Weg vorgezeichnet ist, wäh-
rend das begabte Talent kaum abirrt. Genie
ist nämlich fast immer identisch mit einer
inneren Weichheit. Ein femininer Zug haftet
den Größten an, wenn er auch nicht im Vorder-
grund steht. Sie scheinen eine Vereinigung von
maskuliner und femininer Polenz, um die äußer-
ste Schöpferkraft zu ermöglichen. Und daher
auch die unbegrenzten, so leicht zum außer-
gewöhnlichen treibenden Gährungen seines

Seelenlebens, das nicht am Durchschnitt zu
messen ist. Schließlich sind ganze Völker mit
diesen Abzeichen eher dem Untergang geweiht
als unzusammengesetztere, und der Germane,
dieser Typus des Genies, wird gewiß noch
einmal von einer neueuropäischen Mischrasse,
deren Edellegierung er dann bildet, verschlungen
werden. Das geniale Volk wie Individuum ent-
artet rasch, da seine Entwicklungsbedingungen
ungünstige sind.

Ich sagte, das Genie sei der in die Zukunft
weisende Prophet. Es ist gewiß richtig, und
doch ist es auch ganz Repräsentant seiner
Zeit: Dürer, Rembrandt, Böcklin lassen hier-
über niemandem im Zweifel.

Die künstlerische Begabung, der wir die
Kunstwerke verdanken, läßt unser Augenmerk
sich auf verschiedene Punkte richten, die viel-
leicht nicht so ausschlaggebend sind wie die
vorhin betonte Grundlage, die aber dennoch
entscheidend sind, und gewiß in jener schon

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