Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

DOI Artikel:
Widmer, Karl: Zur Ästhetik des Ess-Tischs
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0327

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zur Ästhetik des Eß- Tischs.

besser als in Süd-
deutschland. Nament-
lich in den Hansastädten
ist es gute Tradition,
auf eine gediegene Aus-
rüstungdes Speisetischs
hohen Wert zu legen.
In Süddeutschland fängt
das erst an. — Wenn
nun also ein elegantes
Tischgerät der schönste
Schmuck jeder Tafel ist,
so wird man doch auf
eine Dekoration des
Tischs um so weniger
verzichten wollen, je
festlicher die Veran-
lassung ist. Hier ge-
bührt natürlich der
Blume ihr unbestrittenes
Vorrecht als uralter, bei
allen Kulturvölkern un-
entbehrlicher Schmuck
des festlichen Mahls.
Mit dem Luxus, den die
alte Welt damit getrie-
ben hat, wird man heute
freilich nicht mehr wett-
eifern wollen. Aber die
Freude an den Blumen
hat in neuerer Zeit wie-
der erfreuliche Fort-
schrittegemacht. Auch
darin ist uns England
vorausgegangen, wo
jeder Arbeiter auf sei-
nem sauber gedeckten Eßtisch wenigstens eine
Topfpflanze zu sehen wünscht. Im übrigen ist
es auch darin Sache des guten Geschmacks,
das rechte Maß zu finden. Der Eßtisch soll
immer Eßtisch bleiben und sich nicht in einen
Blumentisch verwandeln. Darum sind alle Gärtner-
kunststücke übel angebracht : die Guirland-
arrangements oder der Unfug, das Tischtuch mit
Blättern zu bestreuen (der allerdings auch aus
England stammt). Das ist ebenso sinnwidrig wie
geschmacklos. Unzweckmäßig ist auch jedes
Blumenarrangement, das sich in die Höhe auf-
baut und dadurch die Konversation mit den
gegenüber Stenden unmöglich macht. Die Ein-
führung des englischen Brauchs, die Blumen in
flachen Kristall- und Silberschalen aufzustellen,
bedeutet deshalb einen großen Fortschritt. Was
von der Blume gesagt ist, gilt von jeder andern
Art von Tafelaufsarj, den Früchten, den Bonbon-
Schalen u. s.w.: sie sollen den Tisch nicht über-

ARCH1TEKT CARL WITZMANN - WIEN.

Vorraum mit Garderobeschränken.
Ausgeführt von Josef Sowak—Wien.

lasten und vor allem nicht durch ihre Höhe den
Blick versperren. Deshalb sollen alle diese Dinge
auch möglichst aus dem Bereich der Hände und
der Teller gerückt werden. Der richtige Ort ist
für sie der Tischläufer. Der Gebrauch der so-
genannten Kouvertvasen, in denen jedem Gast
neben sein Besteck ein Blümchen gestellt wird,
ist nichts weiter als eine dumme Spielerei.

Wichtig ist sodann die Farbenfrage. Auf
einem Eßtisch soll das Weiß als die Farbe der
Reinlichkeit und Appetitlichkeit vorherrschen.
Das Weiß des Tischtuchs soll nicht durch ein
unruhiges Farbengewirr übertönt werden. Blumen
wähle man deshalb möglichst von einer Farbe
und vermeide deshalb alles, was diesen vor-
herrschenden Haupteindruck überflüssigerweise
stört. Bunte Gläser sind schon an und für sich
eine Geschmacksverirrung: man will doch auch
die Farbe des Weins genießen. Höchstens ist
ein Hauch von Farbe — von Grün - angebracht.

301
 
Annotationen