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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

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Widmer, Karl: Zur Ästhetik des Ess-Tischs
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https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0326

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Prof. Karl Widmer—Karlsruhe :

um so mehr, wenn auch noch der Platjmangel
dazu zwingt, die Gäste eng zu setjen. Aus dem-
selben Grunde soll man auch nicht zu viel Tisch-
gerät aufs Mahl aufsetjen: lieber öfter wechseln,
als den Platj mit unbenüt3ten Messern, Gabeln,
Löffeln, Gläsern und dergl. unnötig versperren.

Auch die Form der Tischgeräte ist eine
Frage der Bequemlichkeit. Im allgemeinen sind
die Ansprüche darin in neuerer Zeit größer ge-
worden. Die Richtung des modernen Geschmacks
auf das Zweckmäf3ig-Einfache hat hier gründlich
reformiert; sie hat vom Tischgerät aus vielleicht
zuerst auf das moderne Kunstgewerbe eingewirkt.
Die Verzierungen, die den Gegenstand unnötig
schwer und unhandlich machen, sind aus der Mode
gekommen. Die glatte Zweckform gilt heute als
das Geschmackvollste. Weniger glücklich waren
die Künstlerversuche, diese Zweckformen selbst
zu reformieren. Hier scheint die alte Erfahrung
doch das Richtige gefunden zu haben, und die Be-
mühungen, daran zu verbessern, haben oft recht
abenteuerliche Verschiebungen der gewohnten

Formen hervorgebracht: Messer mit seltsam zu-
geschliffenen Klingen, steifstielige Löffel mit
kantigen Linien u. dergl. Besser sind z. B. die
neuen, einfachen Gläserformen geraten, die Peter
Behrens, Koloman Moser, Albin Müller u. a. ge-
schaffen haben. Das Ungesuchteste ist hier eben
immer das Angebrachteste. Das gewollt Künst-
lerische verstößt hier wie in allen ästhetischen
Fragen, wo die gesellschaftliche Konvention ein
entscheidendes Wort mitspricht, gegen den eigent-
lichen Geist des feinen Geschmacks.

Jedenfalls aber soll die Qualität des wirk-
lichen Gebrauchsgeräts und nicht der dekorative
Aufputj für die Eleganz der Tafel entscheidend
sein. Auch das ist ein Punkt, in dem wir uns vom
Ausland noch immer beschämen lassen. Es gibt
genug Damen, die für eine Gesellschaftstoilette,
die sie zwei Jahre tragen, ohne Bedenken fünf-
hundert Mark ausgeben, die aber die Hälfte dieser
Summe für ein Tafelservice, das ein ganzes Men-
schenleben aushalten soll, zu hoch finden. Übri-
gens steht es in Norddeutschland in diesen Dingen

ARCHITEKT CARL WITZMANN—WIEN.

Küche. "Wände Marmor.

Ausgeführt von J. Sowak—Wien.

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