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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Raphael, Max: Der Tastsinn in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0171

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Der Tastsinn in der Kunst.

STAATLICHE KUNSTGEWERBE-SCHULE ZU HAMBURG. DURCHBROCHENE ZIER-FÜLLUNG, HOLZSCHNITZEREI.

2um Zentrum ebenso bedingt wie unsere Auf-
nahme durch Auge und Ohr und muß daher
Prinzipiell ähnlichen Täuschungen unterworfen
sein. Fast alle optischen oder akustischen
Täuschungen beruhen entweder auf einem
bestimmten Zusammenklang mehrerer Objekte
der Realität mit unserem Organ oder sind
Folgeerscheinungen irgend einer Rezeption,
^an taste also einmal einen Stoff so lange,
daß man das Gefühl genau kennt; man benetze
dann ihn oder die Hand und man wird ein
vollig neues Gefühl haben. Das Beispiel ist
eine Analogie der Brechung eines geraden
gegenständes im Wasser. Oder man taste
eine Reihe von Gegenständen einmal vorwärts,
dann rückwärts, um zu empfinden, wie völlig
Verschieden das Gefühl ist, das allein aus einer
Einordnung der Reihenfolge entsteht. Oder

man verbinde mehrere tastbare Objekte, etwa
einen Körper und mehrere Stoffe. Jedes neue
Element verändert das alte und wird durch
dieses verändert. Freilich die letzte Analogie
mit den sog. höheren Sinnen scheint das Getast
auszuschließen, völlige Fata Morgana Erschein-
ungen des Getastes, absolute Realitätstäusch-
ungen scheinen nicht stattzufinden. Die Gründe
hierfür liegen einmal in dem Umstand, daß wir
den Empfindungen unseres Tastsinnes eine so
geringe Aufmerksamkeit zuwenden, daß seine
Data oft nicht ins Bewußtsein kommen; dann
in dem anderen, daß diese mangelhafte Kultur
des Sinnes ihr Spiegelbild in der Wissenschaft
gefunden hat, daß eine Physiologie des Tast-
sinnes in den allergröbsten Anfängen steckt.
Sie würde zweifellos bald zu Feststellungen
kommen, die die absolute Gewißheit des Tast-

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