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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Raphael, Max: Der Deutsche Stil
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0483

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Der deutsche Stil.

mehr als ein anderer mit der Körperlichkeit der
Natur verknüpft war, und der in Italien lange
das Wesen des Kunstwerkes studiert hatte,
idealisierte sich in seinem Selbstporträt über
alle Wirklichkeit hinaus zur Erscheinung Jesu
Christi. Was das für die Gesinnung des Mannes
und des für die Reformation kämpfenden Volkes
bedeutet, wird man am besten erkennen, wenn
man das Symbol der gesteigerten Ichauffassung,
das die Franzosen in dem Selbstporträt ihres
größten Malers, Poussin (Louvre), hervorge-
bracht haben, dem Dürerporträt gegenüberstellt.
Dieser Poussin ist der in der Welt seines
Ateliers, in der besonderen Enge der irdischen
Welt gefangene Künstler, aber diese Enge ist
die Welt überhaupt, die Menschlichkeit über-
haupt und soviel an Religion, als es mit den
Goetheschen Worten umschrieben ist: ,,Das
schönste Glück des denkenden Menschen ist,
das Erforschliche erforscht zu haben und das
Unerforschliche ruhig zu verehren". Darum
kennt der Franzose jenen für den Künstler so
tragischen Zustand nicht, der in der deutschen
Kunst die Norm ist, der aber auch der italie-

nischen in dem Gigantenkampf Michelangelos
nicht erspart blieb. Er entsteht da, wo die zur
Äußerung drängende Kraft über die Grenzen
hinausgeht, die der Kunst durch die Körperlich-
keit des Werkes und durch ihre Gesetze an-
haftet und bis in die Gebiete mystischen Er-
kennens und Schauens vordringt, die der Ge-
staltung notwendig verwehrt und nur der
schweigenden ,,Abgeschiedenheit" zugänglich
sind. Selbst Goethe, der Verehrer der die
Grenzen der Kunst so streng wahrenden Antike,
ist nach der Anschauung Hebbels mit dem
zweiten Teil des Faust dieser Tragödie nicht
entgangen. Die leuchtende Kehrseite dieses
grenzenlosen, allumfassenden Tuns aber kommt
eben bei Goethe einmal zum herrlichsten Aus-
druck, wenn er Eckermann dieses Bekenntnis
seines fast unvergleichlichen Universalismus
macht: ,,Ich habe all mein Wirken und Leisten
immer nur symbolisch angesehen und es ist mir
im Grunde ziemlich gleichgültig gewesen, ob
ich Töpfe machte oder Schüsseln".

Wenn wir so das vornehmlich deutsche Ver-
hältnis von Ideal und Wirklichkeit von dem

WIENER KINOERZEICH NUNC »DIE ÖSTERREICHER GEHEN ZUM ANGRIFF VOR«

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