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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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Schwabacher, Sascha: Wandlung des Sehens durch die Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0025

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' K '1 VAI.THER HTTNEK.

GEMÄLDE STADTB111)

WANDLUNG DES SEHENS DURCH DIE KUNST.

VON DR. SASCHA SCHWAB ACH ER,

Goethe erzählt einmal in „Dichtung und
Wahrheit", daß er von Bildern hinweg auf
die Straße gekommen sei und hier alle Eindrücke
der erlebten Kunst wiedergefunden habe. Er
sah in die Natur die Formen, die Stimmung, die
Wirkung der soeben gesehenen Werke hinein.

Jeder musische Mensch kennt Ähnliches aus
eigener Erfahrung. Man belächelt die proteus-
hafte Axt des eigenen Ichs, wenn man bedenkt,
wie unser fügsames Auge alle Wandlungen mit-
gemacht hat, die der Wechsel der Kunstan-
schauung ihm im Laufe der Jahre zumutete, wie
sich für unseren Eindruck das Antlitz der Land-
schaft und der Stadt verwandelt hat.

In der Kindheit waren es zumal die Elfen
von Moritz von Schwindt, die die lockenden,
süßen Dunkelheiten der Syringenbüsche in
Gärten und Anlagen umtanzten.

Später sah man im dunstigen Grau über dem
strömenden Flusse das unerschöpflich reiche

Spiel der gebrochenen Töne, wie sie Trübner
gemalt hat, aufgeschichtete Holzstöße und
Menschlein davor, nur wie Teile einer stillen
und doch vibrierend gespannten Materie, und
dann kam der Genuß an den sehnsüchtigen Ak-
korden im tonigen Grau, Grün, Schwarz, Beige
und dem lichterfüllten Weiß, die man aus den
Biidereindrücken des Impressionismus in som-
merlich baumverhüllte Kaffeegärten hineintrug,
— Eindrücke, die man an Theaterabenden im
Ring der halberleuchteten Logen wiederfand,
aus denen das blasse Inkarnat nackter Arme
und Schultern und helle Frauenroben neben
dem Schwarz der Fräcke und dem Schatten der
männlichen Köpfe in geheimnisreichen Valeurs
spielten. Oh, die Lust des expansiv leuchtenden
Gelbrosa bei Renoir, das man in jeder sonn-
erfüllten, hellen Landstraße wiederfand! Ce-
zanne entdeckte für uns die Wesenhaftigkeit
steriler Mauern und öder Viadukte, und van

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