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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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Roessler, Arthur: Aus dem Künstlerleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0118

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AUS DEM KÜN

DER LANGE WEG. Hokusai sagte: „Seit
meinem sechszehnten Jahre habe ich die
Sucht, die Formen der Dinge nachzuzeichnen.
Als ich fünfzig Jahre alt war, hatte ich eine un-
endliche Zahl von Zeichnungen gemacht; aber
alles, was ich vor meinem siebzigsten Jahre
geleistet hatte, ist nicht der Rede wert. — Mit
dreiundsiebzig etwa begriff ich erst einiges von
der wahren Natur der Tiere, Kräuter, Bäume,
Vögel, Fische und Insekten. Bis achtzig hoffe
ich noch weiter fortgeschritten zu sein, und mit
neunzig einen wundersamen Grad von Voll-
kommenheit erreicht zu haben. Doch erst wenn
ich hundertzehn Jahre zählen werde, so glaube
ich, wird alles, was ich mache, sei es auch nur
ein Strich oder ein Punkt, lebendig sein."


WENN ZWEI DASSELBE TUN. Um einen
Streit mit Corot über Kunst auszutra-
gen, machte Courbet seinem Freund und
Widersacher den Vorschlag, mit ihm in einen
Wettkampf einzugehen. „Wir wollen beide
malen, was wir vor Augen haben". Vor ihnen
war ein kleines Kastanienwäldchen, im Hinter-

STLERLEBEN.

grund eine Allee. — Sie stellten ihre Feld-
stühle auf. Zwei Stunden vergingen, dann
waren sie beide mit ihren Bildern fertig. Cour-
bet hatte die Allee und die Kastanienbäume
mit wunderbarer Treue gemalt; Corot hin-
gegen einen kleinen silbern blinkenden See mit
zwei tanzenden Nymphen. „Das habe ich ge-
sehen", meinte er lachend.

*

DER LEHRER. „Wer mein Lehrer war? —
Niemand. — Vielleicht der Abscheu vor
gewissen Dingen," sagte Puvis de Chavannes.
*

DIE INTELLIGENZ DER LINIEN. Rodin
ging, von Paul Gsell, seinem Eckermann,
begleitet, durch seinen Garten in Meudon. Als
die beiden Männer an den Teich kamen, worin
zwei Schwäne schwammen, hoben die Vögel der
Leda ihre langen Hälse und stießen ein zorniges
Fauchen aus. Gsell verwunderte sich über
dieses feindselige Gebaren und bedauerte, daß
so schöne Tiere gar keinen Verstand besäßen.
„Sie besitzen eine Intelligenz der Linien," er-
widerte Rodin, „das ist doch genug."......
 
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