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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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Zak, Eugène: Gemälde von Othon Coubine
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Unus, Walther: Nachahmen oder übertreffen?
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0305

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OTHON COUBINE.

»STILLEBEN« 1919.

NACHAHMEN - ODER ÜBERTREFFEN?

Darf man heute überhaupt noch von Nach-
ahmung sprechen? Dieser Weg, der früher
allein bis in den Tempel der Kunstausübung
führte, ja, noch wie eine Säulenhalle ihr Aller-
heiligstes umschloß, scheint verschüttet und
verflucht zu sein. Und doch kann es so nicht
sein; es scheint nur so. Wie eine Welle
der anderen folgt, eine im Wesen ähnlich der
anderen, so rollt auch die Bewegung zur
Kunstform unweigerlich über die Wieder-
holung unserer Erlebnisse und nur durch
Nachahmung vermögen wir sie zu erfassen.
Aber einfach ist der Vorgang freilich nicht.
Wir gewahren ja immer nur die Haut der Dinge,
die uns alle Gründe und Abgründe verdeckt,
denen sie doch ihre Form verdankt.

Blickt man zurück, ist es eine fast erschrek-
kende Vielfältigkeit — was alles ist dem Men-
schen nicht vor allen anderen Eigenschaften als
nachahmenswert erschienen I Die Bruchstücke
der Erlebnisse sind ganz verschiedentlich ab-
gemessen und ausgeschnitten worden. Doch

selbst dann, wenn es nur ein demütiges Ent-
zücken ist, das scheinbar ganz der unerreich-
baren Herrlichkeit des Äußeren zu folgen be-
reit ist, hat nicht Johann Georg Hamans hell-
sichtiges Wort recht, daß er so hinschrieb:
„Nachahmen heißt in schönen Künsten über-
treffen". Er fand es, wie so viele seiner tief-
sten Aussprüche, sozusagen gelegentlich, da er
von der Nachahmung Homers spricht. Aber
dieses Wort trifft ja nicht nur die Nachahmung
von Kunstwerken; es ist eine wichtige Er-
kenntnis für alles Schaffen unseres Geistes über-
haupt. Überhöhen oder vertiefen, — schon die
bloße Auswahl aus dem fließenden Meer der
Umwelt zur nächsten Befreundung führt un-
weigerlich zum Übertreffenwollen. Worin? —
manchmal ist das schwer zu beantworten, zumal
man das Vorbild ja als Ganzes ohnehin weder
erreichen kann noch will. Worin? — das
bestimmt in vielen Fällen ein Mächtigerer als
der Einzelne, der Wille des Zeitalters, oder
gar ein noch unsichtbares Ziel, walther unus.

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