Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

DOI Artikel:
Bethge, Hans: Die Künstler
DOI Artikel:
Meyer, A. D. Hans: Die Mass-Stäbe des Baues
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0246

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Künstler.

— und manchmal scheinen sie es zu erreichen.

— Der Atem Gottes weht aus ihnen und der
betäubende Atem der Sünde. Sie sind dem
letzten Wissen nahe und der Einfalt der Kinder.
Der Kosmos brandet in ihrer Brust, mit Sonnen
und Sternen, feierlich, voll großer Gesetze, wie
das Meer, — zuweilen aber auch grausig, gleich
dem Chaos der Urwelt. Sie sind fromm und
zuchtlos, Priester und Spötter, Heilige und
Enterbte, und ihre hohen, durchfurchten Stir-
nen sind umwittert von den furchtbar drohen-
den Wolken dunkelster Tragik.

Sie sind tiefste Sehnsucht, schwermütigste
Bangnis und jauchzende Glückseligkeit. Sie
sind der ahnende Geist selbst, zitternd um die
Dinge und um die Rätsel des Seins. Sie sind
Musik, traumhaft herüberwehend aus einer be-

schwingteren Welt. Sie sind beseelt von Edel-
mut und Niedertracht, unendlich kühn und un-
endlich scheu, zaghaft, rücksichtslos, und immer
zwiespältig, gepeinigt von der schmerzhaft ge-
steigerten Empfindlichkeit ihrer Nerven, dem
Tod durch eigene Hand gefahrvoll näher als
irgend ein anderer Mensch.

Sie stehen wahrhaft jenseits von Gut und
Böse. Dankt ihnen, habt Liebe zu ihnen und
auch ein wenig Erbarmen. Ihre Gaben sind
edler als Gold, das Glänzen der Gestirne und
die Tränen zerquälter Nächte hängen an ihnen.

Seht ihr den Heiligenschein um ihre Häupter,
das Kainszeichen auf ihren Stirnen? In ihren
Augen ist das Glühen begeisterten Sehertums,
um ihre Lippen das Zucken der Verzweiflung.

So sind die Künstler.

DIE MASS-STÄBE DES BAUES.

VON REGIERUNGSBAUMEISTER A. D. HANS MEYER.

Das Bauwerk hat drei Maßstäbe. — Der
erste ist das Werk selbst. Er ist unab-
hängig von der nach Maßeinheiten gewerteten
Größe. Jedes Glied des Werkes steht nur zum
andern Gliede in einer — gefühlsmäßigen oder
gesetzmäßigen — Beziehung: die Größe der
Fensteröffnungen zur stehen bleibenden Wand,
die Höhe des Sockels zur Gesamthöhe des Hau-
ses, die Feinheit einer Gesimsgliederung zu der
benachbarten Fenster verdachung. Die Alten
rechneten alle Bauteile ihrer Tempel nur nach
Säulendurchmessern und schufen Werke von
einem in sich vollendeten Ebenmaß. Denkbar
wäre dabei, daß zwei Tempel nebeneinander
ständen, deren einer aussähe wie das Modell
des andern im halben Maßstab.

Dem wirken die andern Maßstäbe entgegen
— der Bauzweck und der Baustoff.

Zweck des Baus ist meistens der Mensch.
Deshalb kann man auch sagen: Der Mensch
ist das Maß des Bauwerks. (Im Tierpark
gibt es Meerschweinchendörfer. Da ist das
Meerschweinchen Maßstab.) Eine Treppenstufe
ist dem Menschen bequem, wenn sie 17 bis
18 cm mißt. Äußerste Grenzen sind 15 und
20 cm, — Eine Brüstung kann nicht gut unter
70 cm, nicht gut über 100 cm hoch sein. Die
zulässigen Unterschiede sind also winzig. —
Eine Tür kann nicht unter 1,80 m messen, aber
ein Türflügel von 4 m Höhe wäre sinnlos. Auch
die Zimmerhöhe und damit die* Stockwerks-
höhe stehen im Verhältnis zur Größe des Men-

*

sehen. — Die Sitzmöbel sind noch viel pein-
licher, nach Zentimetern genau, in ihren Aus-
maßen festgelegt und wirken als eingebaute
Bänke und Gestühle auf das Maß des gesamten
Bauwerks bestimmend fort. (Konfirmanden-
säle, Kinderheime und Spielzeugläden müßten
deshalb einen kleineren Maßstab haben.)

Der andere hemmende Maßstab ist der Bau-
stoff. Einen Pfosten von 4 cm Stärke kann
man nicht mauern, ein Gitter nicht aus 15 cm
starken Eisenstäben schmieden. — Auf einen
Pfeiler von 25 cm Tiefe und Breite kann man
kein Zeltdach aus Dachziegeln und Firststeinen
setzen. Ein einziger Firststein an jeder Kante
wäre schon zu lang, die Kalkfugen zwischen
ihnen erhielten ungeheuere Ausmaße, und die
Dachfläche, wenn überhaupt Platz für sie bliebe,
würde von zwei oder drei kurz und klein ge-
hauenen Biberschwänzen dargestellt. (So etwas
kann man übrigens heute sehen.) — Der Werk-
stein mit seiner ebenen Fläche und den spär-
lichen Fugen läßt andere Gliederungen zu als
der Ziegelbau mit seiner unregelmäßigen Ober-
fläche und den zahlreichen Fugen (die einFünftel
der ganzen Fläche ausmachen I) . . .

Drei Maßstäbe hat der Bau — das Werk,
den Zweck, den Stoff. Der erste ist der abso-
lute, freie. ^Er wird^geregelt'von* den" beiden
andern, den relativen, gebundenen.

Der Meister meistert sie alle.' Das Bauwerk
findet sein Maß nicht allein in sich selbst —:
es ist zweckgebunden und st off beschwert.

*
 
Annotationen