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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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Unus, Walther: Die "Handschrift" des Künstlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0174

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DIE „HANDSCHRIFT" DES KÜNSTLERS.

In Ausstellungen und Galerien ist das Publi-
kum vielfach nur mit den Bildern recht zu-
frieden, deren Maler es beim ersten Blick er-
kennt. Das ist so bequem und befriedigt zu-
dem die Eitelkeit einer ganz — überflüssigen
Kennerschaft. Natürlich bekommen die meisten
Künstler von Bedeutung allmählich ihre Art,
wie jeder von uns seine Handschrift hat, un-
trennbar von uns, unverstellbar. Etwas vom
wirklichen Charakter liegt ja auch darin, doch
nur den paar wirklichen Kennern deutbar. Im
allgemeinen ist es eine Einstellung von bös-
artiger Oberflächlichkeit.. Denn es kommt nicht
auf die Handschrift an, sondern auf das, was
mit ihr gesagt und geleistet wird. Schreiben
kann jeder lernen, und gewöhnlich ist ja auch
dann zugleich der Duktus der Schrift da: mal ein
bißchen gotisch, mal antiqua, je nach dem Lehrer,
der Mode, im besten Fall etwas, das auf den
Weg zur Kunst führt. Denn leider ist man auch
mit der scheinbar ausdrucksvollsten Schrift
nicht behindert, bloße Trivialitäten zu sagen:
Keine noch so merkwürdige Eigenart schützt

davor. Entdeckt man, daß Feder oder Pinsel
nichts anders als ihre eigene Art können, muß
man vorsichtig werden. Es droht die Gefahr
der Mechanisierung. In Wirklichkeit ist die
Versuchung, geistig zu Grunde zu gehen, sehr
groß, das „Manierte" vernichtet schnell die ehr-
geizigsten Begabungen. Das hübsche Schnecken-
haus ist leer und tot; das bißchen Schwung,
das bißchen Farbe hält noch ein Weilchen, bis
es ganz verwittert. Das Vergessen des „Inhalts"
ist die schwerste Sünde des Künstlers. Der
Inhalt eines Kunstwerks, — nicht der novelli-
stische, nicht der gegenständliche ist gemeint,
nicht das Formale, sondern das Geformte.
Jener Inhalt, der in keinem andern Stoff, natür-
lich auch nicht in Worten anders als sehr um-
ständlich und niemals erschöpfend wiederge-
geben werden kann. Ein bißchen charakter-
volle Handschrift ist doch hierzu noch so gut
wie nichts: Handgelenksübuog, die zum Guten
wie Üblen gleich geschickt ist. Bleibts bei ihr
allein, sieht man einen Augenblick mit Interesse
hin und — legts zu dem Übrigen, walther unus.

PAUL GAUGUIN. »MAORI-MÄDCHEN«
 
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