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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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H. R.: Beglückung durch Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0221

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ANTON V.W ÜVCK.

»FAMILIEN-BILDNIS«

BEGLÜCKUNG DURCH KUNST.

E

rnst ist das Leben, heiter die Kunst" —
dieses Schillerwort hat dasselbe Schick-
sal erfahren wie so viele Aussprüche, in denen
große Männer die Stimme ihrer Einsichten ver-
dichtet zusammendrängten: es sammelte sich
um sie im Laufe der Zeit und des Gebrauchs
so vieles Falsche und Schiefe, daß man bei
jedesmaliger Anwendung den Wahrheitsgehalt,
der ihnen innewohnt, von neuem bloßlegen und
erarbeiten muß. Mit diesem Wort, das eine
große Wahrheit enthält, ist der Kunstbanause
seit Men<!chenaltern gegen alles Neue in der
Kunst zu Felde gezogen. Er hat sich mit diesem
Wort gegen das Eindringen des dunklen, un-
gebärdigen Lebens in die Kunst gewehrt, er
hat sich hinter ihm verschanzt, wenn die Kunst
ihm ein ernstes Mühen und Ringen zumuten
wollte. Er hat hundert alte, abgelebte und er-
starrte Manieren mit diesem Wort gegen die
Forderung neuer Lebenswahrheit verteidigt.
Und er hat damit bewiesen, daß keine Wahr-
heit dagegen geschützt ist, in unbefugten Hän-
den zum plattesten Irrtum zu werden.

Heute, da uns die ewige Würde klassischer
Kunstanschauung von neuem aufgehen will,
wird die Zeit reif zu einem tieferen, ursprüng-

licheren Verstehen dieses Wortes. Ein zu Un-
recht vergessener deutscher Dichter, Karl Bern-
hard v. Trinius, ein Zeitgenosse Goethes, schrieb
vorzeiten, Schiller werde wohl immer wieder
einmal den Gesichtskreis der Erde durchschnei-
den wie ein eilender Komet, während Goethe
stets gegenwärtig sei wie ein stiller, ständiger
Trabant oder wie eine leuchtende Erd-Atmo-
sphäre. Eine Zeit, in der Schiller uns wieder
naht, scheint herbeigekommen, und damit leuch-
ten auch seine Kunsteinsichten von neuem auf.

Was er unter der „Heiterkeit" der Kunst
verstand, erläutert er am besten selbst. Er
sagt: „ Alle Kunst ist der Freude gewidmet, und
es gibt keine höhere und ernsthaftere Aufgabe,
als die Menschen zu beglücken. Die rechte
Kunst ist nur diese, welche den höchsten Ge-
nuß verschafft. Der höchste Genuß aber ist die
Freiheit des Gemüts in dem lebendigen Spiel
aller seiner Kräfte". Die Bestimmung des
Kunstzweckes durch den Begaff „Freude" geht
über die Teilwahrheit, daß Kunst auf „Aus-
druck" ziele, weit hinaus, und der Schritt, den
sie darüber hinaus tut, ist eben der charakte-
ristische Schritt der klassischen Kunstein-
sicht. Nach ihr gehört allerdings auch das Ele-
 
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