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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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Bethge, Hans: Die Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0245

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HEINRICH NAUEN DÜSSELDORF.

»STILLEBEN« 1922. slg. dkeuhaus-honn.

DIE KÜNSTLER.

VON HANS BETHGE.

Künstler sind Träume Gottes: lichte und
dunkle Träume. Sie sind das zauberische
Wehen und Verwehen des aus dem Jenseits
herüberspielenden Geistes, sie sind die stärkste,
unfaßbarste Offenbarung überirdischen Leuch-
tens, und die letzten rhythmischen Wunder
des Daseins haben ihren Ursprung in ihrer
Lust und ihrer Qual.

Wer war der erste Künstler? War es der
erste Mensch? Vermutlich, denn ganz ohne
Kunst vermag kein Mensch zu leben, also wird
es der erste Mensch gewesen sein, welcher die
erste Kunst zu schaffen« sich bemühte, und es
wird nicht die schlechteste Kunst gewesen sein,
weil sie dem lautersten Bedürfnis entsprang.

Künstler sind Bildner und zwar der seltsam-
sten Art, denn es ist im höchsten Sinne zweck-
los, was sie bilden. Sie wissen es auch selbst
durchaus nicht immer zu deuten, es hängt im
letzten nicht von ihrem Willen ab, was sie bil-
den, denn sie werden getrieben, zuweilen auch
gejagt, ein Muß treibt sie, ein höherer Wille,
die Eingebung, das Schicksal, der Himmel oder
die Hölle. Da schaffen sie denn, selig lachend

oder fluchend: weil sie nicht anders können.
Sie schaffen kleine, vibrierende, seelenhafte
Welten, und das Material, aus dem sie ihre
Welten formen, ist von der edelsten Art, es
ist der Geist.

Sie wandeln auf der Erde, doch nur mit den
Füßen. Ihre Augen durchschwärmen den Äther,
ihr trunkener Atem saugt die Witterung jen-
seitiger Ahnungen ein. Sie wandeln an Ab-
gründen hin, und viele von ihnen stürzen hinab:
Wahnsinn, Elend, Martern des Körpers und
der Seele, ja Verbrechen lauern in den Grün-
den. Verbrechen? Einer der größten unter
ihnen, Goethe, hat alternd geäußert, daß er
nicht selten in seinem Leben dem Verbrechen
erschreckend nahe^gewesen sei.

Sie sind die Taumelnden, die Dionysischen,
die Maßlosen. Sie sind die paradiesisch Hei-
teren und gepeitscht durch alle Qualen infer-
nalischer Finsternis, die Seligen und die Ver-
dammten. Sie greifen mit den Händen nach
den Sternen, um sie herabzuziehen an ihr glühen-
des Herz. Sie starren in die Sonne, bis ihre
Augen erblinden. Sie wollen das Unmögliche
 
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