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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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Sydow, Eckart von: Der Ursprung der Ornamentik
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0397

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DER URSPRUNG DER ORNAMENTIK.

VON ECKART V. SYDOW.

Der bloßen Wortbedeutung nach ist Orna-
mentik die Bezeichnung für den verzieren-
den Schmuck eines Gebrauchsgegenstandes.
Und so wäre sein Inhalt grundsätzlich etwas
für sich Bestehendes, das nur in einem mehr
oder minder entfernten Verhältnis zum Träger
stünde, als dessen Schmuck es dient. Es gibt
aber auch andere Bedeutungen des Ornamen-
tes, die einen weniger äußerlichen Charakter
haben und ihm einen größeren Wert zuerteilen,
als den bloßen Zierates. Die polarste Entgegen-
setzung würde das Ornament als Wesentlich-
stes am Gegenstande erklären, sodaß der Ge-
brauchsgegenstand selbst zum untergeordneten
Träger, zur bloßen Unterlage herabsänke. Zwi-
schen beiden Ausformungen und zugleich Be-
wertungen schwankt im Laufe der Kunstge-
schichte das Ornament hin und her, bald in
dem einen, bald in dem anderen Sinne aufge-
faßt und ausgeprägt.

Die neueste Entwicklung nun ist der Orna-
mentik überhaupt einigermaßen feindselig und
ablehnend gegenüber getreten. Daß es sich
dem Träger anzupassen hätte, wurde ohne wei-
teres als notwendig vorausgesetzt, und es war
nur ein kleiner, aber durchaus logischer Schritt
in der gleichen Richtung dieser allgemeinen
Einstellung, wenn gegenwärtig die reine Form
ohne irgend einen Schmuck als das Ideal
proklamiert wird: denn die klarste Anpassung
der Verzierung an den Gebrauchsgegenstand ist
ihrrestlosesAufgeheninseinertechnischenForm.

Diese Entwicklung bildet in ihrem laborato-
riumshaften Charakter deutlich einen Endpunkt
in der allgemeinen Entwicklung des Kunstge-
werbes, — einen Endpunkt, wie er wohl mit
Notwendigkeit in einem so rein auf technische
Brauchbarkeit eingestellten Zeitalter gesetzt
werden mußte. Man braucht sich dem Vorzug
dieser Wandlung nicht zu verschließen, sondern
wird sich genötigt finden zuzugeben, daß es
schließlich besser ist, wenn der Phantasielose
nüchtern und gediegen sein Werk ausführt, als
wenn er durch vielerlei Anleihen in fremder
Kunstübung es anmaßend herausputzt. Gleich-
wohl kann man und darf man sich nicht ver-
hehlen, daß diese Begründung eine Art Ent-
schuldigung bedeutet und daß in guten Zeiten
das Ornament von großer Wichtigkeit und
Schönheit sein durfte und war.

Aber auch diese Zeiten, in denen Schmuck
und Gebrauchswert sich das Gleichgewicht hiel-

ten, wie etwa im Mittelalter, — auch sie waren
nicht der innerlichste Quellpunkt der Orna-
mentik. Denn auch in ihnen kündigte sich schon
eine Auffassung an, die schließlich den gegen-
wärtigen Untergang in die Wege leitete und
entschuldbar, ja notwendig erscheinen ließ, —
eine Auffassung, die sich in der terminologi-
schen Ausdrucksweise widerspiegelt, der zu-
folge das Ornament eben nur Schmuckwerk
sein solle. Dies aber ist keineswegs sein ur-
sprünglichster Sinn. Die eigentlichste, urtüm-
lichste Bedeutung weist vielmehr auf das reli-
giöse Gebiet hin: das primitive, natur-
völkische Ornament hat durchaus ma-
gischen Charakterl

Magisch: d.h. zaubeikräftig, weiter whkend
ohne technisch nachweisbare Einflußnahme.
Die einfachste, für den Naturmenschen klarste
Magie ist die Wiikung auf den Lauf der Dinge
vermittelst eines Vorbildes, — das Vorbild
als solches hat weiterzeugende Kraft.
So wird der bisonjagende Indianer eine erfolg-
reiche Bisonjagd schauspielerisch darstellen,
um auf diese Weise auch in der Wirklichkeit
eines großen Jagdglückes teilhaftig zu werden.
Aber dies Prinzip regiert nun auch die Ver-
zierungen der Waffen, die Form der Ge-
fäße: wenn der Nordwest-Amerikaner seinen
Schüsseln die Form von Robben gibt, so meint
er damit dem Ertrag seiner Jagd zu dienen, —
wenn er hölzerne Keulen, mit denen er seine
Beutetiere totschlägt, mit Bildern von Seelöwen,
Haifischen usw. beschnitzt, dann handelt es sich
bei diesen Ornamenten durchaus nicht um arti-
stische Schmuckfreude, die sich auslebt, son-
dern in erster Linie um die Absicht, auf bild-
nerischem Wege magische Wirkungen auszu-
üben. Die künstlerische Einstellung wirkt sich
gewiß zur gleichen Zeit aus, denn die Arbeiten
jener Nordwest-Amerikaner zeigen eine hohe
Vollendung flächenmäßiger Ausbreitung natu-
ralistischer, dreidimensionaler Vorlagen und
ihre zerteilende Darstellung, die ähnlich alt-
germanischer Ornamentik zu einem rebusartigen
Gebilde führt.

Solche magische Absicht leitet nicht nur in
Amerika die Arbeit des Bildners. Auch in
Afrika, in der Südsee usw. ist der gleiche An-
trieb wirksam, der weitergreifend auch mächtige
Tiergeister, wie den der Eidechse, der Schlange,
der Spinne, des Elefanten usw,, durch plastische
oder zeichnerische Verzieiung mit dem Tür-
 
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