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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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Koch, Alexander: Praktische Kunstanschauung in den Schulen
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Michel, Wilhelm: Romantik der Nüchternheit: (Bemerkungen zur neuen kunstgewerblichen Form)
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0039

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Praktische Kunstanschauung in den Schulen.

sinnige und schöne Dinge liebende Persönlich-
keiten finden, die fürs erste diesen Unterricht
wohl übernehmen könnten. Und für die Zu-
kunft wird eine Erweiterung des Lehrkörpers
aus den Kreisen von Künstlern und Fachstu-
dierten, vielleicht sogar eine Änderung der Fach-
zusammenstellung für Lehrer an Seminaren und
Hochschulen in wenigen Jahren Abhilfe schaf-
fen. Wichtig bleibt dann in erster Linie, daß
von staatlicher Seite den Lehrenden selbst das
Interesse rege gehalten wird, etwa durch Reise-
Erleichterungen auf Ausstellungen, freien Ein-
tritt in Museen, Gelegenheit zum Selbststudium
und nicht zuletzt dadurch, daß man ihnen von
Amts wegen einschlägige Kunstzeitschriften
zugängig macht, die sie auf dem Laufenden
halten sollen.

Einige Fingerzeige zur Durchführung desFach-
unterrichtes werden am Platz sein: „Möglichst
wenig Theorie; möglichst viel Anschau-
ungsmaterial" muß hier die erste Losung
sein! Und bemerkt sei, daß sich von allen Schau-
Methoden am besten die altbewährte An-
schauungs-Methode durch Vergleich em-
pfiehlt. Das Gute vom Mittelmäßigen, das
Bessere vom Guten unterscheiden können, das
ßibt das Rudiment. Als zweiter Grundsatz sei
daneben gestellt: „Keine absoluten Theorien
lehren"; je weniger der Schüler von den engenden
und zwängenden Lehrsätzen der Ästhetik weiß,
je besser scheint es mir: Das freie Fühlen
und Schauen muß den Vorrang haben.
Schon das Kind soll wissen, daß man von jeder
Richtung her in die Kunst eindringen, sich zum

Schönen lebendig einstellen kann; es soll wissen,
daß niemals trockne Vernünftelei das Schöne
nach Satzungen und Regeln begreift, sondern
nur das wache intuitive Erfühlen. Zu dem all-
gemeinen Unterricht an 11 ind von Bildtafeln in
der S.-hule müssen Ausflüge, die zugeeigneten
Quellen hinführen, kommen, Besuche von Ge-
werbeschauen, Kunstausstellungen und Museen
unter Führung des erklärenden Lehrers. Zur
Breite der Durchführung sei noch bemerkt: man
gehe möglichst aufs Ganze aus, lehre praktisches
Kunstsehen in allen Schulen; je früher man beim
Kinde anfängt, desto besser ist es meist.

Die Dienlichkeit eines solchen Kunstanschau-
ungs-Unterrichts in den Schulen im national-
erzieherischen Sinn ist offensichtlich. Nicht um-
sonst wird stets darauf hingewiesen, daß gerade
von schöpferischer Seite die wesentlichsten
Kräfte zum Aufbau der Kultur und Zivilisation
bestritten werden. Abgesehen hiervon bleibt
die große allgemeine Seite des Gewinns, die
menschliche. Ein Mensch, er mag jeglicher
Schicht angehören, der einen wachen und regen,
erzogenen und gepflegten lebendig-praktischen
Sinn für dis Schöne und Geschmackvolle hat,
wird diesen Sinn natürlicherweise überall in
seinem Leben umsetzen. Un d während so dieser
harmonische Geist die Nation in ihrer ganzen
Breite durchdringt, wird auch die Existenz des
Einzelnen davon zeugen; fürs erste in seiner
eigenen Umgebung: im Heim. Und es ist
ein alter Erfahrungssatz, daß ein Mensch,
der sein Heim liebt, notwendigerweise
ein guter Mensch ist.......... a. k.

kunstgewerblichen form.)

ROMANTIK DER NÜCHTERNHEIT

(bemerkungen zur neuen

Nicht als ob der neue Mensch oder sein
Innenraum phantasielos wären! Hüten
wir uns davor, dem Schlagwort von der abso-
luten Nüchternheit des neuen Menschentyps
allzu leichtfertig Glauben zu schenken I Und

hüten wir uns vor allem davor, von Phantasie
nur da zu reden, wo der Kunstgewerbler sich
in organische Lebensform hineinträumt oder wo
er die Sinne angreift durch ein lautes, strömendes
Jubilieren der Farben oder Linien. Gewiß hat
das Technische große Gewalt über den Men-
schen von heute. Gewiß sind das Tempo, die
Gesinnung, die Gefühle und die Lebensauffas-
sungen, die von der Technik her breit in unser
Dasein schlagen, bestimmend geworden für den
inneren und äußeren Lebensstil der Gegenwart.
Gewiß dringt das Technische immer stärker in
die Gewerbekünste und selbst in die Künste
em. Aber es wird hier sofort von der Phantasie

ergriffen und in einer eigentümlich reizvollen
Weise verarbeitet. Und obschon wir von alters
her gewohnt sind, das Technische und das
Nüchterne gleichzusetzen, sehen wir in der mo-
dernst en Raumkunst und dem zugehörigen Klein-
kunstgewerbe das Sonderbare sich begeben:
das Technische wird phantastisch. Es
werden ihm Reize abgewonnen, an die vor kur-
zem noch kein Mensch gedacht hat. Und zwar
liegen diese Reize gerade darin, daß das Tech-
nische nicht versteckt und bemäntelt, sondern
mit einer eleganten, weltmännischen Paradoxie
besonders betont wird. Das Technische, wie es
in solchen Fällen auftritt, wirkt mit einer Art
exotischem Reiz, d. h. es wirkt als etwas
Fremdes, als etwas von Draußenkommendes,
das eigentlich nicht in die Kunst gehört und
das doch auf geheimnisvolle Weise plötzlich
künstlerisch „salonfähig" geworden ist.
 
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