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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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Schiebelhuth, Hans: Der Garbo
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0091

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DER GARBO.

von hans schiebelhuth—florenz.

Garbo ist ein teures kleines Wort aus dem
Norditalienischen, besonders in den köst-
lichen Komödien des Venezianers Carlo Gol-
doni daheim, aber auch in der Sprache des
Volkes heute vielfach noch gang und gäbe. Ich
möchte diesen Begriff gerne in unsere liebe
deutsche, fremden Worten ja von jeher frei-
mütig aufgeschlossene Muttersprache einbür-
gern, denn in Italien wird das Wort allem An-
schein nach seltener und seltener gebraucht.

Befragt man ein Wörterbuch, was Garbo oder
die zum gleichen Stamm gehörigen Worte mei-
nen, da erhält man Auskunft mit ungefähren
Sinngebungen, wie „Anstand, Schicklichkeit,
Gefälligkeit, Höflichkeit, Feinheit". In Wirklich-
keit aber handelt es sich hier um einen jener
unübersetzbaren Begriffe, deren jede Sprache
nur ein paar hat, wir Deutschen zum Beispiel
in der vorzüglichen Prägung „Stimmung", ein
Begriff, der sich in keine andere Zunge der
Welt mit absoluter Bedeutungsgenauigkeit über-
tragen läßt. Garbo bedeutet in Einem all das,
was mit der Daseinsverschönerung im Kleinen
und Tagtäglichen und zwar in dem von Men-
schen unmittelbar bewirkten Leben zu tun hat.
Garbo, beziehungsweise das zugehörige Adjek-
tiv garbato, hat die Schattierungen und Mei-
nungsabwandlungen von etwa dreißig deutschen
Worten, von denen hier nur eine kleine Auswahl
folgt: reizvoll, schmuck, gut passend, hübsch,
schön, matt, liebenswürdig, entzückend, takt-
voll, zierlich, vornehm, gepflegt, anmutig, wohl-
aufgemacht, graziös, geziemend, adrett, sauber,
bezaubernd, freundlich, ordentlich, einladend,
ausgesucht, erlesen, gewählt, elegant usw.

Und was ist eigentlich Garbo? Das Leben
wimmelt von Beispielen, die das belegen. Wer
hat die freundlichen, blütenweißen Zier-Gar-
dinen an den Fenstern angebracht? Der Garbo.
— Wer hat die wohlgeordneten Vorgärten vor
den Landhäusern gepflanzt? Eben Garbo, —
Wer hat die Platten, auf denen die Gerichte
bei Tisch aufgetragen werden, so hübsch mit
Kresse geschmückt? Bestimmt der Garbo. —
Wer hat jenem Mädchen den reizenden Kamm
ms Haar gesteckt? Ganz sicher wars Garbo. —
Und wer hat das getan: Vor einer Stunde war
ein zweitag alter Strauß auf dem Tisch; nun sind
die welken Blumen weggenommen, die übrigen,
leicht und duftig-locker zusammengesteckt,
stehen in frischem Wasser in einer anderen,
dem jetzigen Umfang des blühenden Akkords
"»gemessenen Vase?. 0, das war Garbos Hand.

Okt.-Kov. 1924. 9

— Eine Dose Konfekt wird bei passender Ge-
legenheit verschenkt, wie niedlich ist sie in
Seidenpapier verpackt, mit einer feinen Schleife
umbunden. Fragen Sie nicht, wer es getan hat,
denn gewiß war es der Garbo. — War es nicht
gestern, daß wir zu Tisch gingen und jeder auf
seiner Serviette ein Gardenie fand? Oh, das
war Garbo. — Ist nicht vielleicht in Dingsda
ein Schaufenster so gefällig ausgelegt, daß alle
Leute gern stehen bleiben und gucken? Ja,
selbst in Läden herrscht Garbo. — Und wa-
rum gehen Sie nicht in der Golf jacke ins Theater ?
Von wegen Garbo. — Und warum ist alles noch
einmal so schön, wenn es nett aufgemacht ist?
Ja, an allem ist Garbo schuld. — Und warum
hat dieser Mensch nur, ohne daß er doch ein
Charmeur ist, diese einfache Anmut, diese
liebenswürdige menschliche Süßigkeit, diese
gewisse freisichere, heiter leichte, bei aller
Sorgfalt unbefangene Art des Auftretens, die-
sen Zauber des Sichgebens, der ihm Tür und
Tor der Häuser und der Herzen öffnet? Kurz
gesagt, er hat Garbo. —

Sie wissen nun sicher was Garbo ist und
werden mir glauben, daß ohne ihn das Leben
in einer Wüstenei aus Unverstand und aus Dis-
harmonie statthätte. Auch brauche ich Ihnen
nicht zu sagen, daß Sie dieses bis gestern
namenlose Zauberwesen schon längst kennen
und besitzen. Gehen Sie nur einmal durch ihr
eigenes Heim und sehen Sie überall nach, an
allen Ecken und Enden, in allen Winkeln und
Wänden, in Truhen, auf Tischen, in Laden und
Nischen, sie werden ihn überall finden: Garbo,
den guten Hauskobold, das freundliche Wich-
telbübchen, den entzückenden rosigen Putto,
das liebe lächelnde Engelchen. Denn eigentlich
gehört es ja in die ewige Lebensmythologie, als
ein winziger Gott, der für die Schönheit im
Kleinen und Allgemeinen steht, als ein Gött-
chen, das sich zum Apoll, der großen Gottheit
des Schönen verhält, wie etwa das Knäblein
Kupido zu der strahlenden Venus. Ja, wie
Kupido so ist auch Garbo ein kleiner Beglücker,
der gern in die große Glücksal verhilft, aber
im Unterschied zu dem schelmischen Bogen-
schützen erweist Garbo sich als ein stets un-
lästiger, niemals auffälliger Haus- und Herzgast.
Wenn Kupido spielt, das ist so, als spielten
reizende junge Löwen; in drei Wochen sind sie
lebensgefährlich, — wenn aber Garbo spielt,
dann ist es sicher so schön und so harmlos, als
spielten junge siamesische Katzen......sch.
 
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