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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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Niebelschütz, Ernst von: Über den Niedergang unserer Kunstliteratur
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0146

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WILLI 1LT.MER DRESDEN.

GEMÄLDE »EISBAHN«

ÜBER DEN NIEDERGANG UNSERER KUNSTLITERATUR.

VON ERNST VON N1EBELSCHÜTZ.

Jede Verschiebung der Besitzverhältnisse übt
auf den Stil der Schriftsprache ihren Einfluß
aus. Auch die Literatur steht — man mag es
sich eingestehen oder nicht — unter dem Zwang
jenes zwar ungeschriebenen, aber darum doch
nicht minder wirksamen kaufmännischen Ge-
setzes, das in dem SpannungsVerhältnis von
Angebot und Nachfrage seinen Niederschlag
findet. Also — geschrieben wird nur, was
auch gelesen wird. Reiche Absatzgebiete sind
der Literatur heute verloren gegangen, und die
neu hinzugewonnenen wiegen den Qualitäts-
verlust nicht auf. Gewisse bisher in den unteren
Schichten der Gesellschaftspyramide verborge-
nen Elemente sind durch die Zeitverhältnisse in
die Höhe geschoben worden und suchen sich
nun auch geistig zu akklimatisieren. Sie haben
mit andern Worten das an sich löbliche
Bedürfnis, Bücher zu lesen und das Gelesene
sogar zu verstehen. Bei diesem Bestreben sind
sie aber von der peinlichen Entdeckung über-
rascht worden, daß das Gebildetwerden
nicht ganz so einfach und mühelos ist wie häu-
fig das Reichwerden. Sie verstehen eine
Sprache nicht, die, solange sie sich nur an den
geschulten und zuchtgewohnten Geist wendete,
eine strenge und keusche Zurückhaltung üben

und manches unausgesprochen lassen durfte,
was heute als bekannt nicht mehr voraus-
gesetzt werden kann. Man wünscht schnell
und gleichsam spielend unterrichtet zu wer-
den, und zwar wünscht man das allgemein,
denn die bequeme Oberflächlichkeit wirkt an-
steckend. Auf keinem Gebiet kommt das so
deutlich zum Ausdruck, wie in der Kunst-
literatur. Sie hat sich wie ein großer indu-
strieller Betrieb dieser veränderten Situation
rasch anzupassen verstanden: sie liefert jetzt
Unterhaltungslektüre, und das gleich
en gros. An inhaltlich wie stilistisch gleich
guten Büchern und Zeitschriften ist zwar noch
immer kein eigentlicher Mangel, aber der Kreis
ihrer Abnehmer verengert sich zusehends. Die
Grenze zwischen Kunstwissenschaft und bloßer
„Literatur", die früher bei dem relativ hohen
Wert der letzteren labil war, ist heute schärfer
gezogen und drängt zudem die Wissenschaft
immer weiter in die Verteidigungsstellung zu-
rück. Nie vielleicht in der gesamten Ge-
schichte des deutschen Schrifttums ist so viel
über Kunst geschrieben worden wie heute, nie
aber auch hat man so bescheidene Ansprüche
an Form und Gehalt des Geschriebenen gestellt.
Wenn der Ton nur getroffen, wenn der Stil nur
 
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