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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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H. R.: Beglückung durch Kunst
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Schmitz, Oscar A. H.: Die Entweihung der Kunststätten: Ein Vorschlag für den nächsten Kunsthistoriker-Kongress
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0223

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Beglückung durch Kunst,

ment „Ausdruck" zum Kunstwerk, aber es
bildet gewissermaßen nur das Leibliche, das
Stoffliche daran. Erst da wo das Leibliche zum
seelenhaften Ergebnis führt, wo Ausdruck
Freude liefert, ist das Kunstwerk ganz erfüllt.

Welcher Art ist aber nun die „Freude", die
sich aus dem höchsten, aus dem wahren Kunst-
werk ergibt? Sie ist etwas ganz anderes als
bloßes Vergnügen oder als eine flüchtige Lust-
empfindung. Im Schillerschen Begriff erhebt
sie sich aus der Freiheit des Gemüts, in der
alle Kräfte des Gemüts sich freispielend regen.
Was es mit dieser Freiheit auf sich hat, möge
uns ebenfalls Schiller sagen:

„Die Kunst hat es nicht bloß auf ein vor-
übergehendes Spiel abgesehen; es ist ihr ernst
damit, den Menschen nicht bloß in einen augen-
blicklichen Traum von Freiheit zu versetzen,
sondern ihn wirklich und in der Tat frei zu
machen, und dieses dadurch, daß sie eine Kraft
in ihm erweckt, übt und ausbildet, die sinn-
liche Welt, die sonst nur als ein roher Stoff
auf uns lastet, als eine blinde Macht auf uns
drückt, in eine objektive Ferne zu rücken, in
ein freies Werk unsres Geistes zu verwandeln
und das Materielle durch Ideen zu beherrschen."

Hier erscheint jene „Freiheit des Gemüts"
als ein solches Welt-Erleben, das uns die Welt
als ein freies, ideenhaftes und so mit dem Geist
in uns innig zusammenhängendes Gesamtwerk
darreicht. Über die wirkliche, naturhafte Welt
herrscht, bald grausam, bald gelinde, das ge-
setzliche Muß. In der Welt, die die Kunst uns
darreicht, waltet eine erlöste Freiwilligkeit. Sie
ist heiter und wolkenlos, weil sie geistverwandt
ist und daher unserem tiefsten inneren An-

spruch entspricht. Und freilich erfordert dies,
daß das Kunstwerk ebenso sehr „Welt", d. h.
Natur, Wahrheit, Ausdruck, Stoff, Inhalt sei
wie „Idee", d. h. geistige, als formerscheinende,
höhere Ordnung. Es erfordert, daß das Werk
selbst eine volle Persönlichkeit sei, daß es eine
gesättigte, eigene Existenz habe, eigenen Sinn
und Wert; nicht nur einen Wert, der bloß er-
borgt ist von der Idee oder von der Persön-
lichkeit des Urhebers. Erst wo diese Erforder-
nisse voll zusammentreffen, tritt in der „Form"
jene hohe Heiterkeit, jene klare Freude hervor,
die den Menschen in seinem Inneren frei macht.
Auf diesem Gipfel stehen die größten Werke
der Griechen, auf diesem Gipfel stehen Rafael
und Dante und Ariost und Goethe. Alle Würde
der Kunst kommt daher, daß in ihr dieses
Höchste möglich ist; und diese Würde lebt
auch dann in ihr weiter, wenn sich zuzeiten das
Höchste nicht manifestieren kann. Die durch-
leuchtete Helle der vollendeten Form, die welt-
überwindende Freude der reinen, bis ins Letzte
erfüllten, wahren und geistigen Gestalt ist und
bleibt das letzte Wort der Kunst. Nach diesem
Ideal ist ihr geheimes Streben als nach dem
höchsten Orientierungspunkt gerichtet. Und
noch die wildesten, ungebärdigsten Produkte
der Übergangs- und Gärungszeiten stehen mit
diesem Sireben in Zusammenhang; denn wenn
ihre Flügel auch nicht stark genug sind, um die
höchsten Gipfel zu erfliegen, so halten sie doch
die Fühlung mit dem lebendigen Leben, mit
der Wahrheit und Wirklichkeit, und diese Ar-
beit ist deshalb nötig im Sinne des höchsten
Kunstzieles, weil dieses zu seiner Verleihung
des Lebens immer bedarf........... h. r.

DIE ENTWEIHUNG DER KUNSTSTÄTTEN.

ein vorschlag für den nächsten kunsthistorie er-konqress.
von oscar a. h. schmitz.

Es ist so weit gekommen, daß heute einige
der wichtigsten Kunststätten der Mensch-
heit dem künstlerischen Genuß völlig entzogen
sind. Ich befand mich im vorigen Mai, also
nach der eigentlichen Saison, in Venedig. Es
war zu keiner Tageszeit möglich den Dogen-
palast oder die Marcuskirche in Ruhe zu be-
sichtigen, und dasselbe wird mir von vielen
anderen Kunststätten berichtet. Auch vor dem
Krieg wurde man nicht selten in der Kunstbe-
trachtung durch den Ein ström von Touristen-
scharen mit Führern unterbrochen, aber wer
nicht gar zu zart besaitet war, konnte dies von
der humoristischen Seite nehmen, zumal die
Oberflächlichkeit dieser Gäste sie nicht lange

verweilen ließ und die Ruhe bald wieder her-
gestellt war. Heute behaupten diese Gruppen
deutscher oder angelsächsischer Herkunft durch-
aus den Platz, und der einsame Betrachter
kann sehen wo er bleibt. Folgt er einem sol-
chen Schwärm, um sich, nachdem dieser den
Raum verlassen hat, der ruhigen Betrachtung
hinzugeben, so ist ihm schon ein neuer auf den
Fersen und aus allen Seitentüren quellen ihm
solche entgegen. In einem kleinen Raum stehen
oft drei oder vier Gruppen von etwa einem
Dutzend Menschen um ein zweifelhaftes In-
dividuum herum, das in halbgebildetem Kau-
derwelsch wortreiche und halbrichtige Erklä-
rungen der Kunstwerke abgibt, die durch ein
 
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