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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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Pfister, Kurt: Paul Gauguin
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O. L.: Kunst und Religion
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0168

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Paul Gauguin.

entbehrte, zeitlebens zu immer anderen Reizen
und Sensationen trieb — ihm schien Jahre hin-
durch, dieses exotische Land, Martinique und
die Marquesas -Inseln seien Erfüllung aller
Süchte und Zweifel, die ihn bedrängten.

Er hat in „Noa Noa" vom Glück geschrieben,
das ihm die ersten Jahre dieser Südseezeit
schenkten, von den Urwaldnächten und Mango-
bäumen, von dem heiter unbefangenen, durch-
aus nicht primitiv barbarischen Wesen der Ein-
geborenen, von den erregenden und hemmungs-
losen Liebesspielen der Maorimädchen. Da-
mals sind auch die besten seiner exotischen
Malereien entstanden, weite, buntstrahlende
Landschaften und Bilder von Frauen der Insel.
Bilder, in denen etwas von der aufreizenden
Blutmischung des europäischen Mannes mit
exotischen Frauen lebendig ist. In die Epider-
mis der dekorativ abgestimmten Flächen dringt
die Glut tropischer Sonne und der leuchtende
Farbglanz der Vegetation des Urwaldes.

Aber mit den Jahren stumpfen seine Sinne
auch gegenüber dem exotischen Wunder ab und
das Geheimnis des sinnlichen Erlebnisses wird
ein gegenständlicher, literarischer Begriff. Er
meint Legenden zu bilden, wenn er die Mythen
des Volkes, die ihm Eingeborene erzählen, auf
Tafeln überträgt und wenn er Götterbilder
schnitzt, glaubt er sich identisch mit ihrem Kult.
Er sieht nicht — und hat es vielleicht erst ganz
zuletzt dunkel geahnt — daß alle diese Assi-
milationen krampfhafte Versuche der Flucht aus
dem eigenen Ich sind und in den Bezirken
ästhetischer Programme befangen bleiben; daß
der literarische Inhalt die Form sprengt, die
immer mehr zur Dekoration und zum leeren
Ornament erstarrt. Man begreift, wenn Cezanne
einmal sagt: „Gauguin hat nur chinesische
Bildchen gemalt". Nichts bezeugt stärker die
Stimmung dieser inneren Unrast als die Tage-

buchblätter der letzten Jahre („Vorher und
Nachher "), in denen er mannigfache Äußerungen
der Kultur, Kunst, Ethik und Religion mit der
ätzenden Lauge seines Spottes und seiner
pessimistischen Skepsis übergießt.

Diesen Zusammenbruch seiner Ideale hat
Gauguin geahnt, aber nicht überlebt. Seit Jahren
zehrten heimtückische Krankheiten an seinem
geschwächten Organismus. Die Einsicht, daß
seine Südseebilder in Frankreich nicht die er-
hoffte Zustimmung fanden, unablässige Geldsor-
gen und die Schikanen der Kolonialverwaltung
verbitterten seine letzten Lebensjahre. Monate
hindurch muß er sich den täglichen Lebens-
unterhalt durch Schreibarbeiten im Kataster-
büro verdienen und da er die Sache der Ein-
geborenen gegenüber den französischen Be-
hörden mit Hartnäckigkeit vertritt, wird er noch
kurz vor seinem Tode wegen Ungebühr zu drei
Monaten Gefängnis und 1000 fr. Geldstrafe
verurteilt. Er beginnt die Südsee zu hassen und
hat keinen anderen Gedanken als den: heim-
kehren nach Europa, und selbst der Einwand
des Freundes Monfreid, daß er durch diese
neue Flucht seine ganze Lebensarbeit diskre-
ditieren wird, kann ihn nicht umstimmen. Und
er malt, während er auf das Geld zur Heim-
fahrt wartet, als letztes Bild, rührendes Mal
heimlicher Sehnsucht eines nie zur Rast gelang-
ten, heimatlosen Schicksals: eine bretonische
Landschaft, ein winterliches Dorf mit spitzem
Kirchturm und schneebedeckten Hütten und
kahlen, schwarzen Bäumen.

Er starb, bevor er die Heimkehr antreten
konnte. Und an einem der letzten Tage schrieb
er das Bekenntnis endgültigen Zusammenbru-
ches nieder: „Ich will nicht mehr malen .. Die
Malerei erhält mich nicht mehr am Leben."
Sein Tod geschah wie sein Leben: einsam und
auf halber Strecke eines ziellosen Weges, k. p.

KUNST UND RELIGION.

Kunst ist in ihrer End Wirkung immer und setzliches geschieht, so wenig wie das Leben,
überall religiös. Aber sieistreligiös, fromm, obwohl es den Guten oft unterdrückt und den
gläubig nicht als ein abstraktes Meinen und Bösen gedeihen läßt. Nichts, was lebt, ist wider
Denken, sondern ah ein großer, naturhafter Gott; alles dient ihm, alles drängt zu ihm hin;
Komplex geschöpflichen Lebens. Kunst drängt nur daß die Wege, die sein Wirken im Leben-
auch immerfort zur höchsten Sittlichkeit hin. digen geht, nicht zu erforschen, nicht nachzu-
Aber sie kann das nur unter der Bedingung, rechnen sind. Und so ist Gottes Wirken uner-
daß ihr Leben sich frei vollzieht und daß sie forschlich auch in der Kunst. Als natur-
unterwegs gelegentlich auch einmal gegen den haftes, geschöpfliches Leben muß sie sich aus-
trockenen, sittlichen Buchstaben fehlen darf, wirken dürfen. Sie muß die Möglichkeit des
Denn ewig ist der Buchstabe des Geistes Feind. Irrens, selbst der Empörung haben, damit sie
Die Kunst ist niemals wider Gott, so wenig als Leben unversehrt bleiben und ihren Weg
wie die Natur, obwohl in ihr jede Minute Ent- zu Gott in ihrer Weise gehen kann, die eine
 
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