Paul Gauguin.
PAUL GAUGUIN.
»AUF TAHITI«
ander von durchsonnten Bildern sah, die mich
heute Nacht bis in den Schlaf verfolgten. Ich
sah Bäume, die kein Botaniker wiederfände,
Tiere, die Cuvier niemals ahnte, und Menschen,
die Sie allein erschaffen konnten. Ein Meer,
das aus einem Vulkan stürzen könnte, einen
Himmel, in dem kein Gott wohnen kann. Mein
Herr, sagte ich im Traum, Sie haben eine neue
Erde und einen neuen Himmel erschaffen, aber
mir gefällt es nicht in Ihrer Schöpfung: Sie hat
mir zuviel Sonne und ich liebe das Helldunkel..
Wie also ist er? Er ist Gauguin, ein Wilder,
der den Schöpfer beneidet und in verlorenen
Augenblicken seine eigene, kleine Schöpfung
macht, ein Kind, das sein Spielzeug auseinander-
nimmt, um neues zu fertigen, ein Leugner und
Gegner, einer, der den Himmel lieber rot sieht,
als ihn blau mit der Masse zu sehen."
Damals, im Herbst 1888, geschah das tra-
gische Intermezzo von Arles. Van Gogh hatte,
mit finanzieller Unterstützung seines Bruders
Theo, Gauguin eingeladen, und in dem kleinen
gelben Haus, das beide bewohnten, sollte Vin-
cents tiefste Sehnsucht, die schaffende Gemein-
schaft, Wirklichkeit werden. Man kennt die
Entwicklung. An die Stelle der Gemeinsamkeit
trat die zermürbende, nervenzerstörende Dis-
kussion. In einem Augenblick der Besinnungs-
losigkeit schießt van Gogh auf Gauguin. Der
verläßt rücksichtslos den körperlich und seelisch
zusammengebrochenen Freund. Und vielleicht
wird Gauguins menschliches Wesen durch nichts
schwerer belastet, als durch die zynische Dar-
stellung, in der er nach Jahren diese Vorgänge
aufgezeichnet hat.
Der Dreiundvierzigjährige erwählt die Süd-
see zur zweiten Heimat. „Ich will zu den Wil-
den", schreibt er an den Freund Monfreid.
Und: „Das Barbarische ist für mich ein Ver-
jüngungsmittel. Ich bin weit, weit zurückge-
gangen, weiter als bis zu den Pferden des Par-
thenon, zurück bis zum Holzpferdchen meiner
Kindertage." War es der Drang, dem von der
Kultur der Jahrtausende belasteten und er-
schöpften Europa zu entrinnen um in der Sonne
und Atmosphäre jungfräulichen Landes wieder
zur Ursprünglichkeit im Leben und Schaffen
zu gelangen, war es die Ahnung schöpferischen
Ermattens, die von der Fülle ganz neuartiger
sinnlicher Eindrücke neuen Kräftezustrom er-
hoffte oder aber die nie gestillte Unrast der
Seele, die ihn, der die gelassen ruhende Mitte
PAUL GAUGUIN.
»AUF TAHITI«
ander von durchsonnten Bildern sah, die mich
heute Nacht bis in den Schlaf verfolgten. Ich
sah Bäume, die kein Botaniker wiederfände,
Tiere, die Cuvier niemals ahnte, und Menschen,
die Sie allein erschaffen konnten. Ein Meer,
das aus einem Vulkan stürzen könnte, einen
Himmel, in dem kein Gott wohnen kann. Mein
Herr, sagte ich im Traum, Sie haben eine neue
Erde und einen neuen Himmel erschaffen, aber
mir gefällt es nicht in Ihrer Schöpfung: Sie hat
mir zuviel Sonne und ich liebe das Helldunkel..
Wie also ist er? Er ist Gauguin, ein Wilder,
der den Schöpfer beneidet und in verlorenen
Augenblicken seine eigene, kleine Schöpfung
macht, ein Kind, das sein Spielzeug auseinander-
nimmt, um neues zu fertigen, ein Leugner und
Gegner, einer, der den Himmel lieber rot sieht,
als ihn blau mit der Masse zu sehen."
Damals, im Herbst 1888, geschah das tra-
gische Intermezzo von Arles. Van Gogh hatte,
mit finanzieller Unterstützung seines Bruders
Theo, Gauguin eingeladen, und in dem kleinen
gelben Haus, das beide bewohnten, sollte Vin-
cents tiefste Sehnsucht, die schaffende Gemein-
schaft, Wirklichkeit werden. Man kennt die
Entwicklung. An die Stelle der Gemeinsamkeit
trat die zermürbende, nervenzerstörende Dis-
kussion. In einem Augenblick der Besinnungs-
losigkeit schießt van Gogh auf Gauguin. Der
verläßt rücksichtslos den körperlich und seelisch
zusammengebrochenen Freund. Und vielleicht
wird Gauguins menschliches Wesen durch nichts
schwerer belastet, als durch die zynische Dar-
stellung, in der er nach Jahren diese Vorgänge
aufgezeichnet hat.
Der Dreiundvierzigjährige erwählt die Süd-
see zur zweiten Heimat. „Ich will zu den Wil-
den", schreibt er an den Freund Monfreid.
Und: „Das Barbarische ist für mich ein Ver-
jüngungsmittel. Ich bin weit, weit zurückge-
gangen, weiter als bis zu den Pferden des Par-
thenon, zurück bis zum Holzpferdchen meiner
Kindertage." War es der Drang, dem von der
Kultur der Jahrtausende belasteten und er-
schöpften Europa zu entrinnen um in der Sonne
und Atmosphäre jungfräulichen Landes wieder
zur Ursprünglichkeit im Leben und Schaffen
zu gelangen, war es die Ahnung schöpferischen
Ermattens, die von der Fülle ganz neuartiger
sinnlicher Eindrücke neuen Kräftezustrom er-
hoffte oder aber die nie gestillte Unrast der
Seele, die ihn, der die gelassen ruhende Mitte