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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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Lautner, Theodor: Frauen-Handarbeit und die Zeit
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St., M.: Wollstickereien von Marian Stoll
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0114

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Frauen-Handarbeit und die Zeit,

Lebens, die Vervollkommnung desDaseins durch ist: niemand leidet darunter. Am wenigsten die
die Mittel der Technik, breite, zeitfüllende Be- Qualität des Handwerklichen, abgesehen da-
häbigkeit langweilt mich. Und ich bin natur- von, daß schon zu Enochs Zeit Gehuddel hud-
gemäß weit entfernt davon, die gute alte Zeit delig war, sind die neuzeitlichen technischen
unter Trauerseufzen wieder herzusehnen, und Verbesserungen auf dem Gebiet der Frauen-
eigentlich freut es mich, daß man heute im heimkünste ganz zu Gunsten der gediegenen
Wohnzimmer der Dame einen Radioempfangs- Ausführung gewesen. Und während die Mühsal
Ständer findet, da, wo in Urgroßmutters Tagen verschwunden ist, ist die Anmut die gleiche
der Stickrahmen stand, auf dem sich in Jahren geblieben, unter dem Gesetz des raschen Voll-
unermüdlichen Wirkens ein Stramin mit müh- bringens hat das Frauenhandwerk insgesamt
seliger Füllstickerei bedeckte. einen größeren Aufschwung genommen, und die
Sophokles sang einst: „Alles ziehet hinweg Möglichkeiten haben sich unendlich bereichert,
die große Zeit . ." Wir aber haben das ge- denn während noch zu Großmutters Zeiten eine
flügelte Wort vom „sausenden Webstuhl" für Dame, die einige Frauenhandarbeitskünste be-
diese dahinrinnende Macht, der doch keiner herrschte, ein wahres Wunder war, ist heut-
entrinnt. So steht auch das heutige Leben in zutage eine Dame, die in allen Zweigen dieser
all seiner Breite nicht mehr im Zeichen eines Künste erfahren ist, keine Seltenheit,
langsamen majestätisch gemäßigten Dahin- Wie darüber geträumt, von den Händen der
ziehens, sondern im Zeichen des sausenden frühlingsleichten Luftgenien darübergestreut,
Vollbringens, des raschen Eingangs, des zwar schimmern ein paar Stickblümchen auf einer
nicht eilfertigen, aber eilig fertigenden Ablaufs. Decke; sie lassen das Material wirken und
Und diesen Wesenszug betont ganz zu recht wirken selber als Linienspiel. Noch graziöser
und nicht zuletzt die moderne Frauenhand- als Eisblumen sind die zarten Blätter und
arbeit. Sie ist vom Charakter unserer Tage be- Blütenranken über den hauchhaften, duftigen
stimmt, den rhythmischen Bedingungen unseres Tüll geflogen, schwingen sich zier und schmuck
Lebens angepaßt. Sie liebt das Leichte, die eine handbreit vom Saum entlang. Ein paar
schnelle, nicht allzuzeitraubende Arbeit; die Tupfen noch in das Gewebe, wie Blütenflocken,
jahrelange Geduld ist durch eine einige stunden- wie schwirbelnder Stöberschnee, und wie luftig
lange Sammlung ersetzt, der biedermeiermodi- ist das ganze, wie klug und diskret in dieFlächen-
scheSitzfleißistdurchneueMethodendesStichs, Wirkung des Grundstoffs, des Tülls verwirkt,
durch Andersartigkeit der Gewebe, durch ver- So sieht moderne Handarbeit aus, ist sie
besserte, besondere Werkzeuge, durch leichter nicht genau so anmutig wie zu Großmutters
zu bewältigende Vorwürfe unserer mit der Ent- Zeiten, mit derselben Liebe, der gleichen Sach-
wicklung des Jahrhunderts gegangenen Moden freude gemacht wie anno dazumal, aber, gottlob,
überflüssig geworden. Und das Beachtenswerte mit weniger Zeitaufwand.. . . theodor lautner.

s ist wahr, im künstlerischen Schaffen spie- sind die denkbar einfachsten, denn ich halte

\ \, len die wirtschaftlichen Verhältnisse eine auf den Grundsatz: „farbige Stickereien in
beträchtliche Rolle. Der Preis der Materialien einfachen Stichen, Weiß Stickereien in so kom-
wirkt sich beispielweise auch in der Stickerei plizierten Stichen als man will." Wo mit far-
ersichtlich aus. So mag das Überwiegen der bigen Mitteln eine künstlerische Absicht zum
Tüllstickerei, das in den letzten Jahren allent- Ausdruck kommen soll, bedarf es keiner Zier-
halben erkennbar war, aus der verhältnismäßi- stich-Künsteleien. Am ehesten gelangt man
gen Billigkeit des Tüllgewebes zu erklären sein, zu gutem Ziel, wenn man in einfacher natür-
Bei meinen Arbeiten habe ich die Wolle be- licher Art arbeitet und die Farben breit und
vorzugt, teilweise wohl aus dem gleichen Grunde flächig hinsetzt. Man hüte sich vor alt modischer
der Billigkeit, im wesentlichen aber, weil sich Nadelmalerei in verfließenden Tönen. Die Er-
der milde Glanz der farbigen Wolle am besten gebnisse sind meist betrüblich. Ein solches
für meine Bilder eignet, in denen ich wohlaus- Hinübergreifen auf fremdes Gebiet ist der Stik-
geglichene Stimmungen zu erzielen suche. kerei auch garnicht vonnöten. Sie ist als künst-
Die Stickereien, die hier gezeigt werden, sind lerische Betätigung ebenso selbständig wie die
in Zephirwolle ausgeführt. Ein paar Seiden- Malerei, es stehen ihr vielfältige Möglichkeiten
stiche hie und da, oder ein Goldfaden, sind zu Gebote, die bei weitem noch nicht genügend
hinzugekommen. Die Sticharten der Ausführung erkannt und verwertet worden sind. . . . m. st.

WOLLSTICKEREIEN

VON MARIAN STOLL.
 
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