Romantik der Nüchternheit.
Man braucht das eben gefallene Wort von
dem exotischen Reiz nur auszusprechen, so ist
alsbald die Einsicht in das romantische
Grundwesen dieser Gestaltuogsweise da.
Es ist kein Zweifel, daß insbesondere die Wie-
ner den Würfel, die Spirale, die Stange, den
Blechstreifen, die Kugel, die Röhre, das Gitter
durchaus romantisch zu verwenden wissen. Sie
wissen gerade das Nüchterne zum feinsten,
sichersten Reiz zu machen, sie wissen es zu
„romantisieren", d. h. in einen Zusammenhang
zu bringen, wo es merkwürdig blumig und phan-
tastisch wirkt. Am deutlichsten tritt dies
naturgemäß da hervor, wo technische Motive
verwendet werden zum Aufbau von Dingen,
die keine Zweckgebilde sind. So sah ich jüngst
ein Zierstück aus farbigem Glas, ein reizvolles
Gewirre von Stangen, Kugeln und Würfeln.
Aber auch da, wo es sich um Zweckgebilde han-
delt, kann das Konstruktive und Technische in
einer höchst reizvollen Weise zum künstler-
ischen Motiv genommen werden, wie z. B. bei
jenen Stühlen, die das Staatliche Bauhaus Wei-
mar in der Werkbundausstellung „Die Form"
zeigte. Man sah da, unter völligem Verzicht auf
alle bisherigen Formen, einen Aufbau aus Kant-
hölzern mit nüchternen, leicht elastischen Gur-
ten, der die verschiedenen Funktionen, die der
Stuhl bei der Belastung durch einen sitzenden
Menschen ausübt, in ganz exakter, fast wissen-
schaftlich analysierender Weise vorzudemon-
strieren schien. Diese Stuhlform wirkte nicht
eigentlich „schön" in irgend einem überlieferten
Sinn, dafür aber intelligent und exakt. Sie
empfahl sich nicht durch Brauchbarkeit und Ge-
fälligkeit, sondern durch Gesinnung und reso-
lutes Eingeständnis ihres Willens, klares, zeit-
gemäßes, technisches Wesen zu sein.
Im ganzen kann man sagen, daß wir gegen-
wärtig wieder in einer Erneuerung der kunst-
gewerblichen Form begriffen sind. Man darf
solche Bewegungen in ihrer Tragweite nicht
überschätzen, aber jeder Verständige wird sie
begrüßen als Versuche, das kunstgewerbliche
Gestalten jung und beweglich zu erhalten und
die innere Beziehung unserer Formenwelt zu
den tieferen geistigen Strömungen der Gegen-
wart zu gewährleisten.......wilhelm michel.
MAX FELD BAUER—DRESDEN. »PFERD«
Man braucht das eben gefallene Wort von
dem exotischen Reiz nur auszusprechen, so ist
alsbald die Einsicht in das romantische
Grundwesen dieser Gestaltuogsweise da.
Es ist kein Zweifel, daß insbesondere die Wie-
ner den Würfel, die Spirale, die Stange, den
Blechstreifen, die Kugel, die Röhre, das Gitter
durchaus romantisch zu verwenden wissen. Sie
wissen gerade das Nüchterne zum feinsten,
sichersten Reiz zu machen, sie wissen es zu
„romantisieren", d. h. in einen Zusammenhang
zu bringen, wo es merkwürdig blumig und phan-
tastisch wirkt. Am deutlichsten tritt dies
naturgemäß da hervor, wo technische Motive
verwendet werden zum Aufbau von Dingen,
die keine Zweckgebilde sind. So sah ich jüngst
ein Zierstück aus farbigem Glas, ein reizvolles
Gewirre von Stangen, Kugeln und Würfeln.
Aber auch da, wo es sich um Zweckgebilde han-
delt, kann das Konstruktive und Technische in
einer höchst reizvollen Weise zum künstler-
ischen Motiv genommen werden, wie z. B. bei
jenen Stühlen, die das Staatliche Bauhaus Wei-
mar in der Werkbundausstellung „Die Form"
zeigte. Man sah da, unter völligem Verzicht auf
alle bisherigen Formen, einen Aufbau aus Kant-
hölzern mit nüchternen, leicht elastischen Gur-
ten, der die verschiedenen Funktionen, die der
Stuhl bei der Belastung durch einen sitzenden
Menschen ausübt, in ganz exakter, fast wissen-
schaftlich analysierender Weise vorzudemon-
strieren schien. Diese Stuhlform wirkte nicht
eigentlich „schön" in irgend einem überlieferten
Sinn, dafür aber intelligent und exakt. Sie
empfahl sich nicht durch Brauchbarkeit und Ge-
fälligkeit, sondern durch Gesinnung und reso-
lutes Eingeständnis ihres Willens, klares, zeit-
gemäßes, technisches Wesen zu sein.
Im ganzen kann man sagen, daß wir gegen-
wärtig wieder in einer Erneuerung der kunst-
gewerblichen Form begriffen sind. Man darf
solche Bewegungen in ihrer Tragweite nicht
überschätzen, aber jeder Verständige wird sie
begrüßen als Versuche, das kunstgewerbliche
Gestalten jung und beweglich zu erhalten und
die innere Beziehung unserer Formenwelt zu
den tieferen geistigen Strömungen der Gegen-
wart zu gewährleisten.......wilhelm michel.
MAX FELD BAUER—DRESDEN. »PFERD«