ERICH EL1NGIUS—HAMBURG.
»STRASSENKRONT DES HAUSES L.«
EIN HAMBURGER STADTWOHNHAUS.
Die vornehme Bauschöpfung, um die es sich
hier handelt, gibt ihr Hinstreben zu einem
historischen Stil, dem Barock, ohne weiteres
zu erkennen. Insofern scheint sie, von außen
gesehen, mit neuzeitlichen Baubestrebungen
nichts gemein zu haben. Aber es ist unsere
Aulfassung, daß zum künstlerischen Gesamt-
wirken einer Zeit auch die Heranziehung und
die lebendige Bearbeitung der Vergangenheit
gehört. Auch darin sprechen sich die ganz be-
stimmten modernen Formkräfte aus. Zu jedem
modernen Stil gehört auch — seit der histo-
rische Sinn in Europa erwacht ist — eine be-
stimmte Auffassung der abgeklungenen Form-
welten. Jede Zeit liest aus der Vergangenheit
andres heraus. Die „Gotik" von 1830 ist etwas
ganz andres als die Gotik von 1870 oder 1910;
die Antike eines Schinkel, eines Moller unter-
scheidet sich von der unsrigen in ganz wesent-
lichen Zügen. Das große Beispiel für die Zeit-
bedingtheit jeder „Renaissance" ist bekanntlich
dieRenaissance selbst. Wiedergeburt der Antike
war die bewußte Tendenz, aber sie lieferte eine
neue, eigene Formenwelt, und diese erfuhr in
den verschiedenen Ländern des Nordens eine
ganze Reihe besonderer Abwandlungen.
Hier also handelt es sich um den Barockstil.
Kein Zweifel, daß er in eigener, bestimmter,
einmaliger Weise aufgefaßt ist. Man spürt z. B.
schon deutliche Unterschiede vom Barock eines
Messel oder eines Emanuel von Seidl. Die
Auffassung ist „moderner". Wir haben den Ein-
druck, daß dieses Haus L. auf die spezifischen
Reize der Barockform genauer, bestimmter ein-
geht als manche früheren Versuche in gleicher
Richtung. Entscheidend aber ist, daß eine vor-
nehme, feine Gesamtleistung zustande gekom-
men ist, bei der das Auge und die einfühlende
Phantasie nicht ohne Vergnügen verweilen.
Der Architekt hat, indem er das Motiv
des barocken Wohnbaus aufgriff, nicht aus
eigener Machtvollkommenheit gehandelt. Er
hat einem bestimmten Wunsch, einer be-
stimmten Vorliebe des Bauherrn entsprochen.
Merken wir dazu an, daß diese Vorliebe sehr
vieles zu ihrer Rechtfertigung anführen kann.
XXYIII. Okt-NoT. 1924. 5
»STRASSENKRONT DES HAUSES L.«
EIN HAMBURGER STADTWOHNHAUS.
Die vornehme Bauschöpfung, um die es sich
hier handelt, gibt ihr Hinstreben zu einem
historischen Stil, dem Barock, ohne weiteres
zu erkennen. Insofern scheint sie, von außen
gesehen, mit neuzeitlichen Baubestrebungen
nichts gemein zu haben. Aber es ist unsere
Aulfassung, daß zum künstlerischen Gesamt-
wirken einer Zeit auch die Heranziehung und
die lebendige Bearbeitung der Vergangenheit
gehört. Auch darin sprechen sich die ganz be-
stimmten modernen Formkräfte aus. Zu jedem
modernen Stil gehört auch — seit der histo-
rische Sinn in Europa erwacht ist — eine be-
stimmte Auffassung der abgeklungenen Form-
welten. Jede Zeit liest aus der Vergangenheit
andres heraus. Die „Gotik" von 1830 ist etwas
ganz andres als die Gotik von 1870 oder 1910;
die Antike eines Schinkel, eines Moller unter-
scheidet sich von der unsrigen in ganz wesent-
lichen Zügen. Das große Beispiel für die Zeit-
bedingtheit jeder „Renaissance" ist bekanntlich
dieRenaissance selbst. Wiedergeburt der Antike
war die bewußte Tendenz, aber sie lieferte eine
neue, eigene Formenwelt, und diese erfuhr in
den verschiedenen Ländern des Nordens eine
ganze Reihe besonderer Abwandlungen.
Hier also handelt es sich um den Barockstil.
Kein Zweifel, daß er in eigener, bestimmter,
einmaliger Weise aufgefaßt ist. Man spürt z. B.
schon deutliche Unterschiede vom Barock eines
Messel oder eines Emanuel von Seidl. Die
Auffassung ist „moderner". Wir haben den Ein-
druck, daß dieses Haus L. auf die spezifischen
Reize der Barockform genauer, bestimmter ein-
geht als manche früheren Versuche in gleicher
Richtung. Entscheidend aber ist, daß eine vor-
nehme, feine Gesamtleistung zustande gekom-
men ist, bei der das Auge und die einfühlende
Phantasie nicht ohne Vergnügen verweilen.
Der Architekt hat, indem er das Motiv
des barocken Wohnbaus aufgriff, nicht aus
eigener Machtvollkommenheit gehandelt. Er
hat einem bestimmten Wunsch, einer be-
stimmten Vorliebe des Bauherrn entsprochen.
Merken wir dazu an, daß diese Vorliebe sehr
vieles zu ihrer Rechtfertigung anführen kann.
XXYIII. Okt-NoT. 1924. 5