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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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Corwegh, Robert: Das Malerische und der Halbton
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0096

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Das Malerische und der Halbton.

des Lichtes hält der Halbton alle Farben des
Spektrums im Bereiche seiner Wandelbarkeit,
und seine Kraft beruht in dem Umfang seiner
Werte, dessen Grenzen zwischen der hellsten
Helligkeit und dem tiefsten Dunkel liegen. Im
Gegensatz von Hell und Dunkel lebt der Halb-
ton als verbindendes Zwischenglied.

So viel Möglichkeiten dieses Gegensatzes
die Natur bietet, so viel vermittelnde für den
Halbton. Allein für sich kann er nicht bestehen,
wie eine Brücke des Flusses und der Ufer be-
darf. Er ist ein verbindendes Element, feind
aller Ungebundenheit. Auch in der Baukunst,
der Mutter der raumgestaltenden Künste, waltet
er. Er weiß in der Weite des Raumes Stim-
mungen zu wecken. In ihm ruhen die Schauer
der Unergründlichkeit wie das wohlige Schmie-
gen in wohnliche Winkel. Der Kuppel von
St. Peter verleiht er in den Stunden des Nach-
mittags die Stimmung eines Nachklangs der
unendlichen Himmelswölbung. In die Schatten
der Pf eilerbündel des Straßburger Domes flüstert
er für den von Westen nach Osten Schreitenden
das Geheimnis der Weite der Ebene. Wenn

durch Butzenscheiben die Sonnenstrahlen spie-
len, flüchtet er in die Fensterleibung und lieb-
kost wohl auch das Fell von Löwen und Hünd-
chen wie alles Gegenständliche in der Zelle
des heiligen Hieronymus.

Der Halbton ist Schöpfer des Malerischen
in Natur und Kunst. Er ist unabhängig von
Farbe und Linie, aber wo er mit ihnen zusam-
menstößt, wandelt er sie. In ihm lebt Helle und
Dunkelheit zugleich. Eine unendliche Stufen-
leiter baut er für jede Farbe vom Weiß zum
Schwarz, und so findet jegliche Farbe in ihm
den Gleichklang zu jeder anderen.

Was dem Halbton allein fehlt, ist der Mangel
jeder weichen Natur: der eigene Charakter.
Er ist in seinem Wesen abhängig von Licht und
Schatten und besitzt daher nicht eigene Wesen-
heit. Doch wer verargte ihm diesen Mangel,
den er mit gar so vielen Erdenbürgern teilt,
die seine Vorzüge nicht besitzen? rob. corwegei.
*

Das Leben läßt sich stets nur stückweis
fassen; — Kunst will ein Ganzes ahnen
lassen................. goethe.

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