Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

DOI Artikel:
H. R.: Ewige Schönheit
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0183

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
EWIGE SCHÖNHEIT.

Das Wort „schön" kommt in unsern Kunst-
erörterungen kaum noch vor. Es ist er-
setzt durch die Worte stark, groß, kraftvoll,
packend, gewaltig — lauter Worte, die mehr
auf äußere, physische Gewalt als auf den stillen
Sieg der schönen Form zu deuten scheinen.
Darin spiegelt sich das geistige Geschick der
Epoche, der wir angehören. Das Kräftige ist
das höchste Ideal einer Zeit, die in lauter Er-
schütterungen lebt, die den Kampf zum be-
stimmenden Faktor hat, die schließlich auch die
Kunst zu einer Art Krieg gemacht hat, in der
es fortwährend auf Kraftproben zwischen dem
Künstler und seiner Umwelt samt den Mitmen-
schen ankommt. Für das stille, überredende
Walten der Schönheit ist da weder Zeit, noch
Raum, noch Empfänglichkeit. Eine Zeit, die in
lauter Entgegensetzungen lebt, in lauter Ge-
walttaten, Spannungen und kontrapunktischen
Aufteilungen, eine solche Zeit kann nicht unter
dem Ideal der Schönheit stehen. Denn Schön-
heit ist ja die Auflösung der Kontraste in einer
höheren Harmonie. Schönheit ist der Ver-
einigungspunkt über dem lauten, vordergrün-
digen Kampf. Sie gehört nicht dem Augen-
blick, sondern sie stammt aus der Sphäre der
Dauer, sie stammt geradeswegs aus der Ewig-
keit. Wo immer der Mensch die Empfindung
hat, der Schönheit gegenüberzustehen, da ist
er dem reißenden Ungetüm der wechselnden
Augenblicke entrückt und in das Bereich der

Dauer hinübergehoben. Er steht auf einem
Gipfel, er steht dem gegenüber, das sich nicht
mehr durch Krieg und Spannung, sondern durch
die klare, siegreiche Stille und die Gewalt der
in sich versöhnten Form äußert. Das ist der
Sinn des Begriffes „Ewige Schönheit". Denn
keine irdische Schönheit ist ewig ihrer eigenen
Dauer nach, aber sie stammt aus der Sphäre
des Ewigen und sie führt das Wort des Ewigen
und sie trägt einen Hauch des Ewigen an das
vergängliche Menschenherz heran. Die wilden
Zeiten des allgemeinen Krieges entdecken die
Wahrheit, daß es keinen wahren Frieden gibt,
sondern daß alles ein ewiger Austrag streiten-
der Kräfte ist. Aber die Zeiten des Friedens,
die den Blick für das Dauernde und Bleibende
haben, wissen die Schönheit gar wohl zu finden,
sie wissen den Streit als das vordergründige
Schauspiel zu erkennen, das den göttlichen,
friedlichen Sinn nur verbirgt. Am Schlüsse
seines „Hyperion" ruft Hölderlin den Jubel
dieser Erkenntnis aus: „0 Seele, Seele I Schön-
heit der Welt! Du unzerstörbare! Du ent-
zückende! mit Deiner ewigen Jugend! Du bist;
was ist denn der Tod und alles Wehe der Men-
schen? — Ach, viel der leeren Worte haben
die Wunderlichen gemacht. Geschiehet doch
alles aus Lust und endet doch alles mit Frieden.
Wie der Zwist der Liebenden sind die Disso-
nanzen der Welt, Versöhnung ist mitten im
Streit, und alles Getrennte findet sich wieder.

XXVUI. Dezember 1934. 6
 
Annotationen