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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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Hoche, Paul: Künstlerische Jugend-Erziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0273

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PORZELL AN-MANUF. WIEN. »KAFFEE-SERVICE« BEMALT.

KÜNSTLERISCHE JUGEND-ERZIEHUNG.

Nietzsche sieht in der Kunst die rettende,
heilige Welterlöserin, während der Pro-
phet von Jasnaja Poljana, Tolstoi, in ihr die
Verderberin der Menschheit erblickt.

Wie stellen wir uns als Erzieher zu diesem
Gegensatz? Soviel ist sicher, daß das Bedürf-
nis nach dem Schönen mit zu den Urtrieben
der Menschenseele gehört. Die Geschichte der
Völker, auch der primitiv lebenden, beweist
das zur Genfige. Dieser ästhetische Sinn ist auch
im Kinde stark ausgebildet. Es schafft sich in
seiner Einbildung eine ausgeprägt künstlerische
Welt i es fragt dabei freilich nicht nach der Wirk-
lichkeit der Dinge, sondern dichtet ihnen be-
liebige Eigenschaften an, kombiniert die Vor-
stellungen freischöpferisch, und in dieser ein-
gebildeten Welt lebt und schafft es als ein
Künstler, erfreut es sich an Dingen, deren man-
nigfaltiger Illusionswert ein ganz anderer ist,
als wir Erwachsenen in ihnen schauen. In dieser
ästhetischen Welt fühlt sich das Kind auch
glücklich, bis es älter wird, die selbstgeschaffne
Empfindungswelt in Trümmer fällt und es mehr
gezwungen wird, mit den wirklichen materiellen
Zuständen und Dingen zu rechnen. Wohnt nun
aber dieser ästhetische Sinn dem Kinde von
Natur aus inne, muß dann diese Anlage, wenn

wir zur harmonischen Ausbildung gelangen
wollen, nicht auch gepflegt werden?

Damit soll natürlich nicht der Forderung das
Wort geredet werden, jedes Kind zum aus-
übenden Künstler zu erziehen. Denn dahin
drängen in Wirklichkeit auch die Triebe gemei-
niglich nicht. Hier gilt das Dichterwort: „Kunst
üben kann nur der Erkorene, Kunst, lieben jeder
Erdgeborene!" Da haben wir auch gleich die
Kardinalforderung: Darauf kommt es nur an,
die künstlerische Empfänglichkeit zu erhalten.
Der Mensch soll einmal duichs Leben gehen,
nicht wie ein Krüppel, sondern als einer, der
mit allen Sinnen und Kräften das Schöne emp-
finden kann, wo es sich ihm auch immer bieten
mag. Die Kunst und das Leben sollen für den
Menschen nicht etwas Getrenntes sein, sondern
beide sollen sich in ihrer Heiterkeit und ihrem
Ernst in des Menschen Brust einen. Ist das
nicht ein Ziel, unseres besten Strebens wert?

Unsere Zeit hat solche Art der Kunstpflege
besonders nötig. Denn sie kann sich nicht genug
tun in der Aufhäufung von Wissensstoffen, in
der logischen Schulung. • Dabei kommt aber
nicht selten das Empfinden, das warme Gemüt
nicht zu seinem Rechte. Heute, wo die Men-
schen so oft übersättigt von einer schalen Auch-

XXVIII. Januar 1935 8»
 
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