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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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Edschmid, Kasimir: Persönliche und allgemeine Missverständnisse in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0338

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Persönliche und allgemeine Mißverständnisse in der Kunst.

denselben Fehler macht wie jemand, der bei
einer Feuersbrunst nur seine Neugierde stillen
will. Natürlich sind auch diejenigen auf falschem
Weg, die mit moralischem Zeigefinger nur darauf
lauern, am Schluß eine kleine Predigt aufzu-
schnappen und Anweisungen zu erfahren für
die Führung ihres irdischen Daseins, die sie in
der Kirche ohne literarische Umwege reiner und
direkter beziehen können. Alle diese Leute,
die sich von Kunst aufheitern lassen wollen
o der die sie zum Gedeihen ihrer Privatinteressen
benutzen, alle die vielen Leute, die sie wie
Kaviar oder eine gute Terrine schlürfend ge-
nießen, sie alle helfen noch eifriger das Gesicht
einer Kunstbewegung verwirren wie diejenigen,
die sie glattweg verachten. Die Laien gehen mit
der Kunst um wie die Damen mit ihren Probier-
puppen. Sie benutzen sie für ihre Liebhabereien.
Sie sind dabei von der großen Kühnheit be-
sessen, sich überaus sachverständig zu halten,
während doch die Damen, die für Toilettedinge
die geborenen Sachverständigen sind, sich ohne
Widerrede dem Diktat des Schneiders unter-
werfen, wenn sie ihre Lieblingsgarnituren über
die Probierpuppen legen lassen.

Der Mensch ist aber auch ein rückschritt-
liches Wesen und seine Seele ist unübertreff-
lich konservativ. Im Grunde ist jeder Mensch
allen Neuerungen abhold. Zu allen Schwierig-
keiten, die sich vor der Kunst aufhäufen, kommt
noch diejenige, daß eine neue Art von vorn-
herein verhaßt ist. Sie muß sich durchkämpfen,
denn sie hat immer Apostel, aber diese Apo-
stel sind nicht die reinsten Anhänger in der
Regel, sondern Leute, die ihr Geschäft dabei
machen. Jede neue Dichtung will aber den
Beifall der Besten in der Nation, diese aber
sträuben sich immer wieder tragischerweise
dagegen. Bis nun im Lauf der Jahrzehnte das
gute Publikum erobert ist, liegt es schon halb
im Grabe, die Apostel haben aber schon eine
neue Richtung ausgerufen. Auf diese und andere
Weise erfüllt Kampf und Mißverständnis den
Gang jeder künstlerischen Bewegung. Man wird
es heute nicht begreifen, daß gewisse'Werke
Goethes den heftigsten Unwillen hervorgerufen
haben, daß Moliere einmal zu modern war, daß
der anmutige Maler Ingres großen Unwillen er-
regte, daß man daran war, des Romantikers
Böcklin Bilder in Stücke zu reißen, daß man aber
wörtlich zu den Bildern von Renoir, Manet den-
selben Unsinn schwatzte wie zu den Werken
heutiger Maler. Jeder Künstler, der seine Zeit

beschreiben wollte, war einmal Revolutionär.
Man hat Balzac verhöhnt und dem sittenstren-
gen Mann Flaubert seinen Lebenswandel ver-
dächtigt, man hat den unvergleichlichen Heinrich
Heine mit dem ganzen „Jungen Deutschland"
über die Grenzen gejagt. Den Bürgern jeder
Zeit haben die Nasen ihrer jungen Künstler
keineswegs zugesagt.

Auch ist es immer fatal mit jemand, der einen
beurteilt, in derselben Zeit zu leben, weil der
Betreffende seine schlechte Laune über die Zeit
an einem gern auszulassen beliebt. Keine
Künstlergeneration hat auch die Spur Gerechtig-
keit bei ihren Zeitgenossen gefunden. In der
Regel hat sie das auch nicht gesucht, sondern
von vornherein sich der größten Kühnheiten
befleißigt. Man muß sich diese Scharen junger
Leute, wie sie auch jetzt wieder aufgetaucht
sind, entschieden romantisch vorstellen. Diese
jungen Leute haben vor allem nie Respekt ge-
habt. Sie haben in Bewußtsein all der Neuig-
keiten, die sie brachten, eine Masse Hohn über
alles gegossen, was vor ihnen da war und sind
ebenfalls äußerst ungerecht gewesen. Man
machte sich nach beiden Seiten keine Verbeug-
ungen, sondern hieb wacker aufeinander los.
Unter diesen Umständen sind all die Züge junger
Literaten aufgetreten, die Leute von den „schle-
sischen Schulen" der Jahre 1630—1660 haben
durch ihre barocke Unanständigkeit sich miß-
liebig gemacht, das „junge Deutschland" von
1830 hat mit verzweifeltem Hohn alle Welt ver-
spottet, Goethes junger Genius war manchmal
von beispielloser Frechheit, die Leute vom
„Sturm und Drang" des Jahres 1790 waren
mit ungewöhnlich revolutionären Sitten begabt,
und als die naturalistischen Herren um Arno
Holz und Gerhart Hauptmann 1890 auf die
Böhne traten, geschah es mit ausgesucht
schlechten Manieren. Ganz ähnlich ging es in
der Malerei. Die neuen Bewegungen waren
voll Hohn auf die Vorgänger. Es ist unschwer
zu sehen, daß alle diese Bewegungen bei aller
Stürmischkeit sehr kritisch auftreten. Sie stehen
in der Regel ungemein oppositionell zu ihrer
Zeit, was wiederum nichts anderes heißt, als
daß sie Kinder ihrer Zeit sind. Sie suchen
eine neue Epoche zu schaffen und zerschlagen
dabei die alte, die in der Regel kaum schlech-
ter, höchstens nur anders war. Gerechtigkeit
für die Irrtümer hinüber und herüber schafft
letzten Endes nur die Zeit, aber auch sie
nur mit Vorbehalt....... easimir kdschmid.
 
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