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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Born, Wolfgang: Neue Bilder von Oskar Kokoschka
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0088

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Neue Bilder von Oskar Kokoschka

ten Umgebung, den Schauplatz wechselte und
mit der Frische eines befreiten Gefangenen
draußen stand. Unter der glücklichen Sonne
des Südens leuchteten ihm nun die Mauern und
Säulen von Bordeaux, glühten vor seinen Augen
die Plätze und Straßenzeilen von Madrid. Da
gab es in Wirklichkeit das abgründig tiefe Blau,
das entfesselte Gelb, das blutende Rot, das er
suchte: aber ohne den tragischen Sinn, den
er den Farben gab, sondern als unbefangene
Erscheinung der lebendigen Welt.

Der Norden bringt die endgültige Wendung
zu einem Stil von neuer Unmittelbarkeit, der
sein Gesetz von dem Charakter des darge-
stellten Objekts bezieht. Unter einem feuchten
und grauen Himmel dehnt sich London mit den
pittoresken Türmen der Tower-Bridge und den
von knochigen Kranen flankierten Themsequais.
Die Felsen von Dover steigen zackig aus dem
reglosen Wasser des Ärmelkanals. Lyon breitet
sein Dächergewirr um den schönen Bogen des
Rhone - Knies. Ein Möwenschwarm schreibt
weiße Ornamente in die Seide seines milderen
Himmels. Da ist nichts Grelles mehr. Der Blick
wird behutsam auf gestaffelten Tonwerten in
die Tiefen des Raumes getragen. Kokoschka
hat seine Mittel aufs äußerste verfeinert. Er

darf es wagen, den Lockungen exotischer Land-
schaften zu folgen und den von den Nachfolgern
des großen Delacroix banalisierten Orient zu
malen. Niemals ist seine Technik so locker, so
subtil, so ökonomisch gewesen, wie in diesem
Bilderkreis. Durch die gewaltige gelbe Öde der
Sahara läßt er im Vordergrund die Karawane
ziehen,einen schaukelnden Streifen von Kamelen
mit ihren Reitern, und die Szene wächst unter
seinen Händen von selbst zu biblischerMonumen-
talität. In der Oase stellt er die Bewohner des
fernen Erdteils unmittelbar vor uns hin. Araber-
mädchen, scheu und hastig in ihren Bewegungen,
tauchen für einen Augenblick zwischen den Vor-
hängen der Zelte auf, und unerschütterlich im
Wissen um sein Priestertum thront der Marabu,
der geistliche Herrscher des Stammes: Verkör-
perung persönlicher Würde, seelischer Gewalt
von uralter Abkunft. Europa liegt weit hinter
uns. Unversehens fühlen wir etwas von den
Kräften, die am Anfang der Menschheits-
geschichte stehen. Kokoschka hat gemalt, was
er sah, mit einer Handschrift, die wie im Fluge
in zarten Schichten von Farbe ein Spiegelbild
der Wirklichkeit einfängt. Aber es geschieht
das Wunderbare, daß aus dem sinnlichen Er-
lebnis ein Erlebnis des Geistes wird. . . w. b.
 
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