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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Cremers, Paul Joseph: Peter August Böckstiegel
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0110

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Peter August Böckstiegel

P. A. BÖCKSTIEGEL—DRESDEN

GEMÄLDE »VORFRÜHLING« 1929

erstehen zu lassen. Da ist zuerst die Mutter,
die ihm 1929 starb, geliebter Ursprung und
Mitte der Welt, Sinnbild des ewig gebärenden
Daseins. Der Maler und Graphiker schuf un-
gezählte Male ihr Bild. Nie wurde das geistige
Gleichnis der künstlerischen Form wiederum
derart sinnliche Wirklichkeit, wie die Plastik
es vermochte. Aus Ton der Heimaterde wurde
das Bildnis überlebensgroß geformt und im
Feuer der heimatlichen Ziegelbrennerei ge-
brannt. Natur und Kunst sind hier ebenso zum
Kreis geschlossen wie das Westfälisch-Leibliche
dieses irdischen Antlitzes mit dem gottsuche-
rischen Blick der Seele, mit dem sinnierenden
Geiste in einen mystischen Einklang gebracht
wurde. Dann folgt der Vater, im Ölbild er-
stehend zu hieratischer Würde, einem Götter-
bild aus heidnischen, immer noch gegenwärtigen
Tagen vergleichbar. Das Schicksalskorn des
Samens in der Hand, so schreitet der Bauern-
vater säend über die Felder. So malt er die

Gezeiten der Natur, malt und modelliert er
die Menschen seiner Sippe: den alten Ohm,
die Tante, die Kinder und Nachbarn wie
Profile eines dramatischen Westfalenspiegels.
Aus dem Furioso der immerglühenden Farben
leuchtet ein stahlhart blaues Auge, sieht uns
ein Antlitz an von Wind und Sonne geschnit-
ten, ein zahnloser Mund, stumm und doch
prophetisch kündend vom Schmerz und Glück
der seligen Arbeit und Armut. Diese Bilder
des Westfalen Böckstiegel — sieht man sie
in den zivilisierten Lokalen moderner Aus-
stellungspraxis — scheinen wie Geister aus den
Rahmen zu steigen. Das Dröhnen der epischen
Gesichte erfüllt den Raum und macht ihn
klingend. Die Formen des Rahmens werden
gesprengt und das Bild wächst, im Geiste ge-
sehen, zu einem monumentalen Wandfresko auf,
als das es im Grunde gedacht ist. Die geist-
vollen Nuancen der Urbanen Malerei geraten in
Vergessenheit im Anblick dieser Legenden.
 
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