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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Wenzel, Alfred: Die "ethische" Wirkung der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0315

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Die -»ethische«. Wirkung der Kunst

A. DUNOYER DK SKGOK/.AC

GEMÄLDE »LANDSCHAFT«

Nicht nur die „ästhetische", — darf man
also sagen. Aber es geht zu weit und es ist
nicht ungefährlich, wenn man sagt, es komme
heute überhaupt nicht mehr auf das „ästhetische
Verhältnis" zum Kunstwerk an. Daß man heute
von ihm so wenig hält, ja, von ihm sogar meint,
es unterbinde die Möglichkeit, jenen innigeren
und allgemeinen Kontakt wiederzugewinnen,
liegt an gewissen Ressentiments und Irrtümern.

Durch abgeleitete Begriffe ist der eigentliche
Sinn des „Ästhetischen" vollkommen verwischt
worden. Ihn wieder klarlegen, heißt gleichzeitig:
ihn rehabilitieren. Das Wort stammt von einem
griechischen Verbum, welches „anschauen" be-
deutet. „Schauen" ist mehr als „sehen", ein
Kunstwerk „ anschauen " heißt nichts anderes
als: einen Gehalt in einer Form — und zwar
so, daß beides in einer Einheit beisammen bleibt,
— aufzunehmen und zu deuten wissen. Es gibt
keine andere Erlebnisform, die gleich wertvoll
wäre, denn nur sie erfaßt das Ganze. Und nur
über diese Form des Aufnehmens entfaltet das
Kunstwerk seine universale Wirkung.

Das Werk kann auch von „ethischer" Wir-

kung sein. Und zwar kann jedes wirkliche Kunst-
werk ethisch wirksam sein, es kommt nur auf
den Betrachter und sein Vermögen an. Erwächst
ihm sein Kunsterlebnis im wesentlichen aus dem
Stoff heraus, der da vor ihm liegt, dann kann
freilich eine ethische Berührung seiner besten
innersten Kräfte nur durch einen „sittlichen"
Inhalt — sei es die Tragik ringenden Menschen-
tums, das auf höchste Ziele hin gerichtet ist,
heroische Leidenschaft oder nur die in der Stille
waltende Lauterkeit edler Gesinnung — voll-
zogen werden. Es ist dies eine bedeutsame
Wirkung, bedeutsam vor allem um der Unmittel-
barkeit des Mitschwingens, des Sicherhebens
und Gehobenwerdens willen.

Doch steht sie an Intensität und Totalität der
anderen ethischen Wirkung, wie sie vom Kunst-
werk schlechthin ausgelöst werden kann, weit
nach. Denn wer wahrhaft „anzuschauen" ver-
steht, der gewinnt aus dem Erlebnis des gan-
zen Kunstwerks eine tiefe Empfindung; im
wahren „Anschauen" erschließt uns das Kunst-
werk am reinsten den Sinn dessen, was Zucht
heißt: die Überwindung des Ungeordneten, die
 
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