Dürer, Hieronymus: Das Wandelbahre Glück: in einer angenehmen und wahrhafften Liebes- und Lebens-Geschichte des verkehrten und wieder bekehrten Tychanders, vorgestellet (Leipzig , Braunschweig, 1742) [VD18 14337118]

_ Lieb, und Lebens', Geschichte. ,17
jwlHcn diesem Knaben und mir, als welcher mir gleich
war am Alter, gleich am Stande, gleich am Vermö-
gen, schon von der Wiegen an, Kundschaft, wenn wir
als Kinder fast täglich mit einander spielten. Aus
solcher Kundschaft erwuchs eine hertzliche Gewogen,
heit; aus der Gewogenheit kindliche Freundschaft;
aus der Freundschaft eine brünstige Liebe, ehe und be-
vor wir noch beyde einmahl verstunden, was Liebe war.
Solche Liebe, wie sie in der Kindheit ihre Wurhel
gesehrt hatte, also wüchse sie mit zuwachsendem Alter,
und vermehrte sich zugleich mit denen Jahren,und zwar
dermassen, daß keines ohne das andere seyn konte, «S
schiene eine Seele, ein Hertz, ein Gemüth in zweyen
Leibern zu wohnen. Dannenhero als unsere Eltern
solches an uns verspürten, zweiffelten sie gar nicht, so-
thane Liede durch das eheliche Band zu befestigen, und
uns in noch zarten Jahren einander zu verloben, wo-
durch beyder Hertzen desto stärcker,und (wie es zwar
dazumahl das Ansehen hatte) unzertrennlich zusam-
men verknüpffet worden.
Wir lebten auf solche Weise deyde in höchsterVer-
gnüglichkeit zusammen, bis mein geliebter Treuhart,
der nunmehr das achtzehendeJahrsthon überschritten,
von seinen Eltern, um sich zu versuchen, in die Fremde
geschicket wurde. Wie schwerlich uns beyden solches
Scheiden vorkam, lasse ich diejenigen urtheilrn, die j<-
mahls die Gewalt der Liede erfahren haben. Doch
tröstete Treuhart so wohl sich als mich mit der kur^
erfolgten Wiederkunft, welcher Trost, ob er ihm wol
genug thate, mich doch zu befriedigen, viel zu schwach
war, als die ich vor Traurigkeit in eine Kranckheit fie-
le, und ob ich die schor bald überstünde, sähe ich doch
eine geraume Zeit emem Schatten viel ähnlicher als
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