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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 1): Denkmäler aus alter Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3501#0131

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Der Tempel des Aroeris zu Edfu (Apolllnoplis magna).

(Der Text nach Hector Horeau, Architect.)

Der Tempel von Edfu liegt in Ober-Aegypten, ungefähr 20 Lieues oberhalb Theben und gegen den
25. Grad nördlicher Breite, am linken Ufer des Nil, und zwar eine Viertel Stunde von dem Ueberschwem-
mungsterrain dieses Flusses, der sein Bett nach der arabischen Gebirgskette weit hinweg von unserm
Monumente gewendet zu haben scheint.

Dieser Tempel, der zur Zeit der alten Aegypter der Tempel von Hatfu, dann zur Zeit der Griechen
der Tempel von Apollinopolis Magna*) hiess, war vornehmlich dem Aroeris geweiht, dem Apollo der
griechischen und römischen Mythologie. Dieser Aroeris gehörte zu der Götter-Trias des Tempels'*),
welche ausser ihm durch den Gott Har-Hot, die Personifikation des himmlischen Wissens und Lichtes,
dessen Bild in der materiellen Welt die Sonne ist, und durch die Göttin Athor, die ägyptische Venus,
gebildet wurde. Aroeris war beider Sohn.

Dieser grosse und prächtige Tempel ist einer der vollständigsten und interessantesten des ganzen
Nilthals; er ist unglücklicher Weise verschüttet und mit den Hütten der Fellahs überbaut, welche nach
und nach, sowohl im Innern wie aussen umher, und auf der eine Terrasse bildenden Steindecke***) dieses
Monumentes angelegt worden sind. Wenn der Tempel und das- Mammisi ****), das vor demselben steht,
von der Erde, in der sie zur Hälfte vergraben liegen, befreit wären, so würde man die nothwendig unvoll-
ständige Beschreibung, die ich zu geben versuche, ergänzen können.

Um mit dem grossen Tempel anzufangen (s. die Tafel der Details, Fig. I), welcher nicht weniger als
138 Metres Länge bei ungefähr 65 Metres Breite (425 Fuss Länge bei 200 Fuss Breite) hat, so sieht
man auf der südlichen Seite zwei colossale Pylonenthürme, AA, die in majestätischer Erhebung schon
von fern den Eingang des Tempels ankündigen. Gigantische Bildwerke in Relief zieren dieselben (s. den
geometrischen Aufriss der Pylonenthürme). An der grossen äusseren Vorderseite sieht man oben, in dop■■
pelter Reihe, die Gottheiten dieses und der übrigen Tempel des Nomos, oder der Provinz, auf ihren Thronen
sitzen und die Opfergaben der Ptolemäer Soter's II. und seines Bruders Alexander empfangen, welche sich
in diesen Sculpturen darstellen und ihre Namen und Vornamen eingraben Hessen f). An dem untern Theile
des Pylonen sieht man, zur Hälfte in Schutt vergraben, einen Ptolemäer, in kolossaler Figur, der mit der
göttlichen Harpe die rebellischen Völker züchtigt, die er mit Einer Hand an den zusammengefassten Haaren
hält. Unten an dem rechten Pylonenthurm findet man ein schlechtes kleines Basrelief, das erst nachträg-
lich hinzugefügt ist, und den Kaiser Claudius darstellt, wie er die Gottheiten dieses und der übrigen Tempel
des Nomos verehrt; auf der innern Seite desselben Pylonenthurmes bemerkt man mitten unter andern Figuren,
die Opfergaben darbringen, einen Ptolemäer, der, ohne Zweifel symbolisch, einen Obelisken vermittelst
einer Kette aufrichtet ff).

Diese Pylonenthürme, welche auf ihren verschiedenen Seiten, nur die inneren Flächen ausgenommen,
mit Sculpturen bedeckt sind, haben unten die Einschnitte und die Löcher für die ungeheuren, mit Flaggen

") Im Norden v\,ii Apollinopolis Magna lag Apoliinopolis Parva, welches man nicht mit Apollinopolis Minor verwechseln darf,

das an dem linken Ufer des Nils, Antäopolis gegenüber, lag.
' *) Alle grossen Tempel in Aegypten waren einer Hauptgottheit geweiht, die zu einer als Einheit gedachten Trias gehörte,
welche aus einem männlichen Princip, einem weiblichen Princip, und einem Sohn, dem Product dieser beiden Principe,
bestand.

**) Die Construction der ägyptischen Decken ist nämlich folgende: Säulen stützen steinerne Architrave, die wiederum Träger
von querübergelegten Steinplatten sind, die zugleich die Decke und das Dach bilden. Da es in Aegypten nicht regnet,
(nur in Unterägypten ist dies zuweilen der Fall) so waren für letzteres keine geneigten Ebenen erforderlich.
****) Das Mammisi ist ein kleiner Tempel, den man immer da findet, wo eine Trias verehrt ward; es stellte ein himmlisches
Haus vor, und man glaubte, dass darin die Göttin der Trias die dritte Person der Trias geboren habe. Die Königinnen
begaben sich dorthin, um die Pharaonen, die man als Halbgötter betrachtete, zur Welt zu bringen.

|) Die Lesung dieser Namen und Vornamen, die in ovalen Namenschildern oder Namenringen eingegraben sind, kann jetzt
nicht mehr in Zweifel gezogen werden; man fängt jetzt endlich an, den bewunderungswürdigen Entdeckungen des Jüngern
Champollion Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Champollion starb im J. 1831.
||) Dies ist die einzige Darstellung von der Aufrichtung eines Obelisken, die man in Aegypten kennt. Man kann nicht den-
ken, dass die Aegypter, die uns in ihren zahlreichen Basreliefs auf den Monumenten alle Erscheinnngen ihres Lebens
überliefert, den Transport der Monolithen, alle ihre Bauarbeiten, die Beschäftigungen der verschiedenen Kasten dargestellt
haben, nicht ein einziges Mal die Mittel dargestellt hätten, die sie anwandten, um ihre Obelisken aufzurichten. Man hat
noch nichts in dieser Hinsicht aufgefunden, seitdem man Aegypten erforscht. Man meint gewöhnlich, dass die Aegypter
zu diesem Behuf terrassenförmig geneigte Ebenen anlegten und dass vielleicht die Schwierigkeit diese Ebenen darzustellen
für sie, die nichts von der Perspective wussten, die Ursache jenes Mangels sei.

Denkmäler der Baukunst. XXIX. Lieferung.
 
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