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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 1): Denkmäler aus alter Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3501#0100

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Die ägyptischen Pyramiden.

Seit alter Zeit bis auf unsere Tage hat man die seltsamsten und widersprechendsten Ansichten über
die Bestimmung der Pyramiden aufgestellt; man wollte in ihrer so colossal auftretenden einfachen Gestalt,
in ihrer symbolischen Form mehr Mystisches erblicken als ein Grab, oder sie gar aus Nützlichkeitszwecken,
wie etwa um das Vordringen des libyischen Wüstensandes und die Verschüttung der ihnen benachbarten
in den Felsen ausgehöhlten Graber zu verhüten, errichtet sein lassen. Oder man wollte aus ihrer astro-
nomisch genauen Orientirung nach den vier Himmelsgegenden, und aus ihren Eingangsschachten, die wie
Fernröhre nach dem Polarsterne gerichtet schienen, schliessen, dass sie wenn auch nicht ausschliesslich
doch zum Theil wissenschaftliche Zwecke hatten. Die bedeutendsten alten Schriftsteller stimmen jedoch
darin überein, dass die Pyramiden einzig als Grabmonumente dienten, und dieser ihr Zweck hat sich
durch die Auffindung von Steinsärgen in ihren Grabkammern bestätigt.

Bei allen Völkern sowohl der alten als der neuen Welt waren die ersten Grabdenkmäler künstliche
Erd- oder Steinhügel, sogenannte Tumuli, die mit der Zunahme der Cultur Gestaltungen annahmen, die
mehr oder minder ihre Urform verrietheil. Wir können in der ägyptischen Pyramide auch nichts anderes
als einen idealisirten Tumulüs erblicken, den die Aegypter bei ihrer Vorliebe für das Colossale und
Monumentale und bei ihrer Erfahrung in der Bautechnik schon in den frühesten Zeiten, statt aus Erde,
aus wohlgefügten und behauenen Steinen oder aus Ziegeln, die aus Nilschlamm gefertigt waren, regel-
mässig auf allen vier Seiten geneigt und genau nach den wahren Himmelsgegenden gerichtet, ohne sichtbare

OefFnung aufführten; Bauten,

die durch ihre Colossalität sowohl wie durch ihre sorgsame Technik schon

im Alterthume den Ruhm erwarben, in die Zahl der Wunderwerke der Kunst aufgenommen zu werden.

Die Pyramiden waren für Oberägypten das, was die königlichen Felsengräber für die Thebaiis waren;
die weitesten Hypögeen gehören, wie man weiss, den thebanischen Königen an, die am längsten regiert
haben, eben so sind auch die grössten Pyramiden die Gräber derjenigen memphitischen Könige, die die
meisten Begierungsjahre zählten. Sobald ein ägyptischer König mit der königlichen Macht bekleidet
worden, fing er sein Grab zu bauen an, diese letzte Wohnung, die die alten Aegypter „die ewige" nannten.
Man höhlte einen Gang in dem Felsen aus, und umbaute und überbaute denselben zugleich durch eine
viereckige Mauermasse, in der zuweilen ein Theil des gewachsenen Felsen als Mauerkern eingeschlossen
wurde, um Material und Kosten zu ersparen. Wie die Aushöhlung des Felsen vom einfachen Schachte
durch fortgesetzte Arbeit sich zur geräumigen Grabkammer erweiterte, so stieg auch nach und nach die
Pyramide in die Höhe, die zuerst thurmähnlich in Absätzen von etwa 40 Fuss Höhe, jeder obere Absatz
um mehrere Fuss an allen vier Seiten hinter dem unteren zurückspringend, sich erhob. Diese Absätze
und die durch ihren Rücksprung gewonnenen Terrassen dienten statt der Gerüste beim Bau, hier waren die
Hebemaschinen, die unseren Krahnen ähnlich gewesen sein mögen, aufgestellt, durch die die Steine in die
Höhe gezogen wurden. Bei dieser Weise des Baues, bei der zugleich an allen vier Seiten der Pyramide
an tausend Orten Arbeiter aufgestellt werden konnten, war es möglich, deren mehrere Tausend zu gleicher
Zeit zu beschäftigen, und die Arbeit so zu fördern, wie es die Colossalität des Baues verlangte. Nach
Herodot waren beim Bau der Pyramide des Cheops 100,000 Menschen beschäftigt "*), die alle drei Monat
durch eine gleiche Anzahl abgelöst wurden. Nach Vollendung des obersten Absatzes wurden sämmtliche
Absätze zur Pyramidenform, und zwar nach Herodots Zeugniss von oben nach unten herab, ausgeglichen,
und zuletzt oder damit zugleich die Bekleidungssteine, oft aus besserem Material, auf die sich treppenartig
erhebenden Seitenflächen der Pyramide aufgelegt, welche Arbeit ebenfalls von oben her begonnen und
nach unten fortgesetzt wurde, um überall freien Raum zur Aufstellung von Arbeitern zu haben. Das Profil
dieser Bekleidungssteine war aber nicht ein Dreieck, sondern ein Paralelltrapez, so dass jeder obere
Bekleidungsstein noch auf dem unteren mit aufruhte und alle senkrechte Fugen so viel als möglich gedeckt
wurden. Würde man Bekleidungssteine von dreieckigem Profil angewendet haben, so hätte der in die
senkrechten Fugen eindringende Sand die Pyramide leicht ihrer Bekleidung berauben können. Diese
Bauweise, um deren Aufklärung der neueste einsichtige Erforscher des ägyptischen Alterthums Prof. R.
Lepsius :) sich ein unbestreitbares Verdienst erworben hat, wird nun nach Obigem um so eher aus Herodots
Worten (II, 125) über den Bau der Pyramide des Cheops verstanden werden, die wir hier in der Ueber-
setzung mittheilen: „Diese Pyramide wurde aber folgendermaassen gebaut in der Weise von Stufen
(äraßudfimv tqowjv), welche andere auch xQoxjaai, (d. s. die sich hinter einander erhebenden zur Verteidigung

*) Diodor giebt 360,000 und Plinius gar 420,000 Arbeiter bei der Cheops-Pyramide an.
**) Man sehe dessen an die königliche Academie der Wissenschaften zu Berlin d. d. Cairo im Mai 1843 gerichtetes Schreiben
über den Bau der Pyramiden.

Denkmaler der Baukunst. LI. * Lieferung. " ,r ' '
 
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