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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 1): Denkmäler aus alter Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3501#0315

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Der Tempel oder die Maison Carree zu Mmes.

Der Tempel von Nimes, der gewöhnlich die Maison Carree genannt wird, kann zu den prächtigsten
antiken Bauwerken nicht allein Frankreichs sondern sogar Italiens gerechnet werden.

Dieser bewundernswertlie Bau, der ehemals den ziemlich unerklärbaren Namen Cap-Dueü*) führte,
wird dem Kaiser Hadrian zugeschrieben, der sich auf seiner Rückkehr aus Grossbrittannien einige Zeit in
der Gallia Narbonensis aufhielt, und in Nimes einen Tempel zu Ehren der Plotina, der Gemahlin des
Trajan, erbaut haben soll, der er seine Adoption verdankte. In der That erfuhr er zu Nimes im Jahr 122
den Tod dieser Kaiserin, wie Xiphilinus und Spartian bezeugen.

De Crazannes hat die Vermuthung aufgestellt, dass der Bau der Maison Carree der Regierung des
Augustus angehöre, und dass dieser Tempel den Enkeln desselben, Caüus und Lucius Caesar gewidmet
gewesen sei. Diese Vermuthung beruht indess auf einer auch nur hypothetischen Inschrift des vorderen
Frieses, die Seguier nach den Spuren der Nägel, die die bronzenen Buchstaben dieser Inschrift hielten,
also restauriren zu müssen-»geglaubt hat:

C. Caesari. Augusti. F. Cos. d. Caesari. Augusti. F. Cos. Designato Prineipibus Iuventutis.

Man sieht leicht, wie grossen Glauben man einer solchen Restauration zu schenken habe, wie1 ingeniös
sie auch sei, denn dieselben Buchstaben wurden nicht immer durch Nägel an denselben Stellen gehalten.

Die erstere Meinung, dass der Tempel aus Hadrians Zeit sei, scheint uns durch den edlen Styl des
Gebäudes gerechtfertigt zu sein, der reicher als der des Pantheon ist; sie ist auch die am allgemeinsten
angenommene. Der Tempel hat eine Länge von 13 4j Rheinl. Fuss (36 Metres) und eine Breite von
57| Fuss (18 M.), er gehört zu der Gattung von Tempeln, die man pseudo-peripterische nennt. Der
Eingang liegt nach Norden. Man gelangt zu demselben, nachdem man zehn Stufen erstiegen hat, die
zwischen zwei steinernen Wangen, die eine Fortsetzung des Stylobats bilden, vor dem vorderen Porticus
liegen, den die Griechen nqövaoq, und die Römer anticum, auch profanum *"•'■') nennen. Dieser Porticus hat
drei Säulen nach der Tiefe, die vierte Säule ist mit der Ecke der Cella verbunden.

Der Tempel ist ein Hexastylos, d. h. er hat sechs Säulen in der Front, die ein Gebälk nebst Giebel
von der schönsten Proportion tragen. Bemerkenswerth ist der sonderbare Umstand, dass die Zahl der
Modillons unter der aufsteigenden llängeplatte des Giebels an beiden Seiten eine ungleiche ist, die linke
Seite hat ein Modillon mehr als die rechte. Diese Unregelmässigkeit, die nur eine zufällige sein kann,
wiederholt sich an der Hinterfacade des Tempels nicht. Diese Modillons (von dem Lat. mutylus) sind mit
Blättern der Eiche geschmückt und haben eine von der gewöhnlichen abweichende Form, die sich an dem
Triumphbogen von Orange wiederholt.

Die Säulen sind korinthische und von schönstem Verhältniss; die Säulenschäfte haben vier und
zwanzig Canneluren, ihr unterer Durchmesser misst 2 Fuss \\ Zoll (OM. 66), und ihr Intercolumnium
beträgt zwei Säulen-Durchmesser. Die einzelnen Zacken der Akanthusblätter des Säulencapitells ähneln
den Olivenblättern, und sind meisterhaft ausgeführt. Die Säulenbasen bestehen aus mehreren ein wenig
ungebräuchlichen Simswerken, und man könnte sie beinah für composite halten; übrigens sind sie mit
solcher Vollendung gearbeitet, dass sie aussehen, als wären sie auf der Drehbank gemacht.

Ausser den drei Säulen des Porticus zeigt noch jede Seitenfacade acht Halbsäulen. Die Basen
der Säulen setzen sich an den Cellenmauern fort. Das Epistylion ist in drei mit Perlschnüren
unter einander verbundenen Streifen (corsae, fasciae) getheilt, und der Fries (zo2j/torus bei Vitruv) zeigt eine
prächtige Rankenverzierung. An der Hinterfacade ist diese Zierde nicht wie an der Vorderfacade durch
eine Inschrift verdrängt worden. Die Sima oder der oberste Sims des Kranzgesimses ist an den Längen-
seiten des Gebäudes mit Löwenköpfen (capita leonina), den steten Schmuck dieses Baugliedes, verziert.

Unter dem Porticus befindet sich die Thür, durch die man in die Cella des Tempels eintrat; sie ist
22 Fuss 8 Zoll (7 M. 14) hoch und 10 Fuss 3| Zoll (3 M. 24) breit. Sie wird von einem in drei Streifen
getheilten Bande eingefasst, und von einem auf schönen Consolen ruhenden Kranzgesims gekrönt. Zur
Seite dieses Kranzgesimses treten Kragsteine aus der Mauer hervor, deren Zweck schwer zu errathen ist;
sie sind sehr ähnlich denen, die die Masten des Velariums in den Amphitheatern hielten, jeder ist nämlich
an seinem Ende von einem viereckigen Loche durchbohrt, von dem jede Seite l'Of Zoll (OM. 28) misst"'*).
Das Stylobat oder der Unterbau des Tempels ist 11 Fuss 4 Zoll (3 M. 57) hoch. Die Zahl der Stufen,

*) Duchesne Antiquitez de la France. 1617.

'*) Profanum est quod ante fanum coniunctum fano. Varro, De lingva latina L. VI, 54.

' *) Diese Steine dienten wahrscheinlich zur Aufnahme von Ständern, die bei Gelegenheit der Tempelweihfeste, an welchen die
Tempelthüren und Vorhallen mit Laub- und Blumenfestons geschmückt wurden, zum Halten dieser Festons verwendet wurden.

Denkmäler der Baukunst. XXVI. Lieferung.

L. L.
 
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