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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 1): Denkmäler aus alter Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3501#0165

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Der Tempel des Olympischen Zeus zu Selinus.

Unter Anführung des Pammilus (von Megara am Isthmus) gieng von Hybla Megara eine Colonie aus,
welche sich nach der südlichen Küste der Insel wandte, und dort Selinus gründete, zwischen den Flüssen
Hypsa und Selinus, welche heut Belici und Madiuno heissen. Es ist schwer, das Jahr dieser Gründung
zu bestimmen; indess kann man, nach Diodor, vermuthen, dass sie im 2ten Jahr der 32 Olympiade, 651
vor Chr., geschehen sei, weil dieser Historiker sagt, dass die Stadt durch Hannibal, Giscon's Sohn zer-
stört worden sei, Ol. 92, 3; 409 vor Chr. und im 242sten Jahre ihrer Gründung.

Selinus blühte schnell auf, was es zum Theil seiner so günstigen Lage, Afrika gegenüber, verdankte.
In der 74 sten Olympiade vereingten sich alle Griechen gegen Xerxes; Selinus allein von allen griechischen
Colonien in Sicilien, scheute sich nicht, sich mit den Barbaren zu verbinden, und ergriff die Waffen gegen
Himera, um die Hülfe abzuhalten, die Gelon den Griechen zuführen wollte. Die Syrakusier kamen Himera
zu Hülfe: sie überraschten den Hamilkar und die Karthager, vernichteten sie und verbrannten ihre Schiffe.
Dies soll sich gerade an dem Tage der heldenmüthigen Vertheidigung der Thermopylen begeben haben. Nach
kurzer Zeit näherten sich wieder Selinus und Syrakus und wir sehen in der 78 sten Olympiade (466 vor Chr.)
die Selinutier von den Syrakusiern um Hülfe gerufen, um sich der Tyrannei des Thrasybulus zu entziehen.

Streitigkeiten indess, die sich zwischen Selinus und Segesta um den Besitz einiger armseliger Ländereien
erhoben, entzündeten den merkwürdigen Krieg, der allen Parteien so verderblich ward. Segesta, zu schwach
gegen Selinus, rief die Athener zu seiner Hülfe herbei. Die Folge davon war die berühmte Belagerung
von Syrakus und die Vernichtung des Heeres des Nicias. Darauf nahm Segesta seine Zuflucht zu den
Karthagern, und das unglückliche Selinus ward durch Hannibal, Giscon's Sohn, zerstört, im 3ten Jahr
der 92sten Olympiade (409 vor Chr.): eine gerechte Strafe der Undankbarkeit gegen das Mutterland.

Selinus fristete noch ein elendes Dasein, als zu Ende derselben 01} mpiade der S) rakusier Hermokrates,
aus seinem Vaterlande verbannt, zu Selinus seine Wohnung aufschlug, die alten Einwohner zurückrief und
die Mauern desjenigen Theiles der Stadt den er bewohnte, wieder aufrichtete. Selinus bestand noch
anderthalb Jahrhundert hindurch, aber in niedriger Dunkelheit, indem es nach einander unter die Herrschschaft
des Dionysius von Syrakus, des Pyrrhus und der Karthager fiel; endlich gegen das Ende des ersten
punischen Krieges, entschlossen sich die letzten, als sie von den Römern genöthigt wurden ihre Kräfte
zu Lilybäum zu concentriren, alles Land, das sie den Feinden überlassen mussten, zu verwüsten. Als
Opfer dieses verzweifelten Entschlusses fiel Selinus von neuem unter den Druck der Karthager, und seine
Einwohner wurden nach Lilybäum versetzt. Seitdem verliert sich diese Stadt aus der Geschichte, obgleich
einige neuere Autoren, wie Caruso, Cucciniello und Bianchi glauben, sie sei erst durch die Sarazenen
völlig zerstört worden, welche hier den 15. April 827 landeten.

Die Ruinen liegen in dem Thal von Mazzara, 18 Miglien von der Stadt dieses Namens; zwei Hügel,
ein Drittel Miglie von einander entfernt, sind mit ihren Trümmern bedeckt. Auf dem kleineren sind die
Ruinen von drei Tempeln, mehreren Pallästen und einer grossen Anzahl Häuser. Dort erhebt sich auch
ein Thurm, der von Küstenwächtern bewohnt ist und Tone dei Pulci (Flohthurm) heisst, ein Name der
wohl an einen Tempel des Pollux (Polluce), der dort gestanden, erinnern könnte, wovon der neuere Name
nur eine Corruption wäre. Dieser Hügel ist von Mauern umgeben, welche den Umring der Stadt zu be-
zeichnen scheinen, und wahrscheinlich die von Hermokrates errichteten sind. Der andre Hügel hat keine
Mauern, aber er zeigt ebenfalls drei Tempel, deren Säulen umgestürzt sind. Dort findet man den grossen
Tempel, welcher der Gegenstand dieses Aufsatzes, und unter dem Namen i filiert dei Giganti bekannt ist.
Die Ruinen, welche den Vordergrund unsers Stiches einnehmen, sind von dem Monumente, welches der
kleine Tempel heisst, und in der That ist er der kleinste von den Dreien.

Man sieht leicht aus der Ordnung, die man noch in dem gegenwärtigen Zustande aller dieser Trümmer
wahrnimmt, an der parallelen Richtung, die die Säulen in ihrem Falle genommen, an den graden Linien
in denen sich noch ganze Stücke des Gebälkes befinden, dass nicht allein die Menschen bei der Zerstörung
dieser alten Bauwerke, sondern auch noch Erdbeben thätig gewesen sind: letztere werden die Säulen alle
nach derselben Richtung, von Abend gegen Morgen, umgestürzt haben.

Der grosse Tempel von Selinus ist einer der schönsten, gleichsam ein Vermächtniss des Alterthums,
und wird dem Olympischen Zeus zugeschrieben. Er ist beinahe ebenso gross, als der zu Agrigent. Seine
Länge, oben auf den Stufen die ihn tragen, gemessen, ist 102,080 Metres, seine Breite 48,630 Metres.
(314 Fuss 2 Zoll Länge und 149 Fuss 8 Zoll Breite.) Er ist ein Oktastylos, Pseudodipteros *) und Hyp-

*) Man sieht an diesem Beispiele, dass Vitruv mit Unrecht dem Hermogenes von Abanda die Erfindung des pseudodipteren
Tempels beilegt. Dieser Architect wandte nur diese Neuerung beim Tempel der Artemis zu Magnesia an. Der grosse
Tempel von Selinus ward mehr als 400 Jahre vor Chr. errichtet, während Hermogenes erst unter Alexander lebte.

Denkmäler der Baukunst. XXXIV. Lieferung.
 
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