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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 1): Denkmäler aus alter Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3501#0083

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Das Schatzhaus dies Atreus zu Mykenae.

Die Schatzhäuser waren dazu bestimmt, wie auch ihr Name anzeigt, die Reichthümer eines Staates
oder eines Fürsten oder eines Tempels zu verwahren, bestanden diese Reichthümer nun in Geld, kostbarem
Schmuck oder in heiligen Gefässen und Weihgeschenken. Die ersten Schatzhäuser waren gewöhnlich die
Gräber, unverletzlicher noch durch die Heiligkeit, die an ihnen haftete, als durch die Festigkeit ihrer Bauart
und ihres Verschlusses. Später wurden oft die Tempel selbst als Schatzhäuser benutzt. Bei den Griechen
hatte gemeiniglich ein Gemach im hinteren Räume des Tempels, Opisthodomos genannt, diese Bestimmung.
Solche Einrichtung hatte der Tempel des Apollo zu Delphi und der des Jupiter zu Olympia; eben so war
es zu Athen, wo in- dem Opisthodom des Parthenon die Staatsgelder und Abgaben, die die griechischen
Städte steuerten, niedergelegt wurden, von. denen man immer tausend Talente für unvorhergesehene Aus-
gaben des Staates reservirte; ebendaselbst deponirten auch Privatpersonen Geldsummen, die sie in ihrem
Hause nicht aufzubewahren wagten; auch wurden dort die Weihgeschenke, die Avad-r^iaxu^ die man der
Göttin dargebracht, aufbewahrt so wie die kostbare Beute, die man den Persern abgenommen hatte, unter
der sich auch der Thron mit silbernen Füssen befand, auf dem Xerxes sitzend ein Zeuge der Schlacht
von Salamis gewesen war.

Bei den Griechen finden wrir die ältesten Beispiele von Schatzhäusern. Agamedes und Trophonius
erbauten für Hyrieus zu Orchomenos in Böotien ein Schatzhaus, bei dem sie einen geheimen Zugang, der
ihnen nur allein bekannt war, eingerichtet hatten.") Als Hyrieus merkte, dass sein Geld weniger wurde,
so stellte er eine Falle im Schatzhause auf, in der Trophonius gefangen wurde. Ein anderes noch viel
berühmteres Gebäude dieser Art war das Schatzhaus des Minyas in derselben Stadt Orchomenos, von dem
wir weiter unten reden werden; das besterhaltenste ist aber das Schatzhaus des Atreus zu Mykenae.

Pausanias giebt den Namen 07jauvQoC, Schatzhäuser, den kleinen Gebäuden, die er in dem heiligen
Umkreis von Altis zu Olympia sah, wo jede Stadt eine Niederlage von Opfergaben, von Statuen und
Weihgeschenken jeder Art hielt, die sie dem Gotte darbrachte.

Bei den Römern hiess das Schatzhaus Aerarium, weil die erste Münze von Kupfer war. Bei ihnen
gab es verschiedene Arten von Schatzhäusern, die nach der Münze oder nach der Bestimmung, die die
öffentlichen Einkünfte hatten, unterschieden waren. In Rom war lange Zeit der Tempel des Saturn, der
am Abhänge des Capitol gelegen war, das Hauptdepöt der Staatsgelder.

Bei den neueren Völkern giebt es keine Gebäude mehr, die man eigentlich mit dem Namen Schatz-
häuser benennen könnte; statt ihrer giebt es jetzt nur Schatzkammern, in denen man die Kostbarkeiten
einer Kirche, eines Klosters oder eines Schlosses verwahrt.

„Man zeigt noch zu Mykenae, sagt Pausanias,**) die Quelle des Perseus und die unterirdischen
Kammern, in denen, wie man sagt, Atreus und seine Kinder ihre Schätze verbargen. Nahe dabei befinden
sich auch die Gräber des Atreus und aller derer, die Agamemnon von der Eroberung Troja's mit sich
führte, und Aegisthes bei einem Feste, das er ihnen bereitete, umbringen liess."

Pausanias giebt keine Beschreibung von dem Schatzhause des Atreus, aber was er von dem des
Minyas zu Orchomenos sagt, passt vollkommen auf den Bau zu Mykenae, dessen gleiche Bestimmung
mit jenem sich gar nicht verkennen lässt; so dass aller Grund vorhanden ist, dass das Monument, mit
dem sich dieser Aufsatz beschäftigt, wohl dasjenige ist, welches Pausanias bezeichnen wollte.

In geringer Entfernung von der Akropolis von Mykenae und auf dem Abhänge des Hügels, der sie
trägt, befinden sich grosse, unterirdische von Steinen erbaute Gemächer von kreisrundem Grundriss und
mit einer Wölbung von parabolischer Form versehen. Das am wenigsten beschädigte dieser Gemächer
wird von den Reisenden mit dem Namen Grab des Agamemnon oder Schatzhaus des Atreus belegt.

Blouet zweifelt, dass dieser merkwürdige und einfache Bau das Grab eines grossen Königs oder gar
des Atreus, des Stammvaters seines Geschlechts sein könne, da nichts darin auf eine solche ausgezeich-
nete Bestimmung hinweiset, und will daraus, dass sich in der Nähe des Löwenthores ein fast gleich
grosses kreisrundes unterirdisches Gemach befindet, vermuthen, dass diese beiden Monumente entweder
die Schatzhäuser sind, in denen Atreus und seine Kinder ihre Schätze verbargen, oder dass es die Gräber
der Gefährten des Agamemnon sind, des Eurymedon, seines Wagenlenkers, oder des Teledamus und des
Pelops, der Kinder der Kassandra, oder das Grab der Elektra.

So viel nur lässt sich mit etwas grösserer Bestimmtheit angeben, dass dieses Bauwerk eher das Grab
des Agamemnon oder des Atreus sein kann als die anderen umherliegenden in Trümmer zerfallenen unter-

*) Pausanias L. IX, c. 3.

Denkmäler der Baukunst. LXVF. Lieferung.

* *) Pausanias Corinth. L. II, c. 16.
 
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